Gegenseitiges Vertrauen ist das A und O

PraxisInterviews

Zum Ende seiner Schulzeit hat sich Jan Schneider umgeschaut und wusste dann, dass Verpackungen für ihn und seinen Einstieg in die Arbeitswelt genau das richtige sind. Und er wusste, was er will: Zum einen eine Ausbildung als Packmitteltechnologe bei der Smurfit Westrock Süd - Neuburg, denn so konnte er die Berufspraxis von Grund auf kennenlernen und finanziell auf eigenen Füßen stehen. Zum anderen ein Studium, um gleich auch die Brücke in Richtung neuer Technologien, Forschung und Entwicklung zu schlagen. Beides zusammen bedeutete für das Ausbildungsteam bei der Smurfit Westrock Süd - Neuburg: der erste dual Studierende im gewerblichen Bereich.

Die Premiere hat mehr als nur funktioniert. Jan hat 2024 den Titel des bundesbesten Auszubildenden in seinem Ausbildungsberuf geholt und ist nach seinem Bachelorabschluss als Projektmanager übernommen worden. Wir sprachen mit seinem Ausbilder, Sebastian Kiowski, darüber, was der tolle Erfolg für ihn bedeutet und welche Prinzipien die Ausbildung im Unternehmen so erfolgreich machen.

Herr Kiowski, Sie engagieren sich seit rund 13 Jahren als Ausbilder. Wären wir im Sport, würde die Frage lauten: Welches Erfolgsrezept haben Sie als Trainer entwickelt, damit Ihr Schützling den Titel holen konnte? 

Sebastian Kiowski: Der Erfolg des bundesbesten Auszubildenden gehört in erster Linie Jan, unserem Auszubildenden. Aber natürlich haben sich hier alle, die direkt und indirekt mit der Ausbildung etwas zu tun haben, über den Titel gefreut. Und na klar: Als verantwortlicher Ausbilder von Jan fühle auch ich mich in meiner Arbeit bestätigt. Was aber das Erfolgsrezept angeht, muss ich leider abwinken. Ich denke, dass jede und jeder Jugendliche andere Voraussetzungen und Talente mitbringt und schon aus diesem Grund kann es keine Formel geben, mit der sie alle gleichermaßen zum Erfolg geführt werden können.

Vielleicht gehört ja schon das zu Ihrem besonderen Ansatz, dass Sie individuell auf Ihre Auszubildenden eingehen?

Das sollte doch für jeden Ausbilder und jede Ausbilderin selbstverständlich sein, oder? Schließlich geht es uns als Erwachsenen doch ganz genauso. Jeder fühlt sich in seinem Job besser und ist auch leistungsbereiter, wenn er als Individuum akzeptiert und nicht wie eine Nummer unter vielen anderen behandelt wird.

In der Ausbildung haben aber doch alle Auszubildenden das gleiche Ziel.

Das stimmt, aber der Weg zum erfolgreichen Berufsabschluss kann sehr verschieden sein. Nehmen wir das Thema Führung: Der eine, wie Jan, braucht fast gar keine Führung, weil er von sich aus in die richtige Richtung geht und dabei sogar eher zu schnell als zu langsam unterwegs ist. Ein anderer braucht mehr Führung und will oft auch mehr geführt werden, weil ihm oder ihr vielleicht noch etwas Selbstbewusstsein fehlt. Oder jemand hat zu einem Thema bisher einfach noch nicht seinen passenden Zugang gefunden, dann braucht es hier eben individuell mehr Förderung. Wenn ich an alle den gleichen Maßstab anlege, stelle ich letztlich nur fest, dass es sich dabei um mein Idealbild handelt, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Menschen sind verschieden und das ist auch gut so. 
 

Mit Ihrem Ansatz, auf jede Auszubildende und jeden Auszubildenden individuell einzugehen, machen Sie sich selbst mehr Arbeit, oder?

Nur auf den ersten Blick, wenn man Ausbildung wie einen maschinellen Prozess versteht. Da bringt jede Standardisierung natürlich Effizienzvorteile. Aber bei der Ausbildung geht es um etwas ganz anderes. Nachwuchsfachkräfte, die motiviert, kompetent und loyal sind und die nach ihrer Ausbildung auch gerne im Unternehmen bleiben, sind eben keine Maschinen, die man nur „richtig einstellen“ muss bis sie rundlaufen. Wir sprechen von jungen Erwachsenen, die ihren eigenen Weg finden müssen und dann auch gehen sollen. Wenn es mir gelingt, dass ein Auszubildender selbst „ins Marschieren“ kommt, dann habe ich sogar weniger Arbeit, als wenn ich an jeder Stelle kontrolliere und korrigiere.

Können Sie das noch etwas konkreter erläutern?

Für mich ist einer der entscheidenden Punkte die Eigenmotivation. Der Jan hat die vom Anfang seiner Ausbildung bis zum Abschluss in einem Maße mitgebracht, wie man es sich nicht besser wünschen kann. Es war von Anfang an klar bei ihm, dass er für seinen zukünftigen Beruf und alles, was damit zusammenhängt, brennt. Aber dieses Maß ist realistisch betrachtet eher außergewöhnlich. Auf der anderen Seite der Skala habe ich es manchmal mit Bewerbungen für den Ausbildungsplatz zu tun, bei denen die Eltern motivierter sind, dass ihr Sohn oder ihre Tochter die Ausbildungsplatzzusage von uns erhält, als die oder der Jugendliche. Das führt aber zu nichts. Ich muss schon das Gefühl haben, dass jemand von sich aus an diesem Beruf interessiert ist. Dabei finde ich es ganz normal, dass jemand, der das Arbeitsleben noch nicht kennt, gerade am Anfang auch unsicher ist. Das Risiko gehe ich ein – aber ein Mindestmaß an Neugier und Wille, das einmal ernsthaft auszuprobieren, muss von ihr oder ihm selbst kommen. Dann können wir miteinander arbeiten und das heißt von meiner Seite, dass ich die Jugendlichen ganz oft erst einmal machen lasse. Schon am Anfang der Ausbildung sind es kleine Aufgaben und die werden Schritt für Schritt immer umfassender und anspruchsvoller. Ich habe festgestellt, dass die Jugendlichen viel glücklicher sind, wenn sie selbst einfach mal machen dürfen, und dann zeigt sich von allein, wo und wie der Funke zündet.

Machen lassen, das heißt einen Vertrauensvorschuss geben …

Das stimmt. Außerdem gehört viel positive Bestärkung dazu, wann immer es geht, denn nicht alle Jugendlichen trauen sich von Anfang an zu, Aufgaben selbstständig zu bearbeiten. Manche haben in der Schule und im Elternhaus einfach viel zu wenige Gelegenheiten dazu gehabt, aber das ist ein anderes Thema.

Vertrauen und positive Bestärkung sind Voraussetzungen, um die Eigenmotivation zu entfachen und zu fördern. Auf zwei weitere Punkte kommt es aus meiner Sicht aber außerdem noch an: Das Ziel jedes Arbeitsauftrages muss für die Jugendlichen glasklar und sinnvoll sein, sonst funktioniert es nicht. Wenn das gegeben ist, kann man das Level mit jeder Aufgabe steigern. Es begeistert mich immer wieder, wenn ich merke, wie die jungen Menschen auf einmal ihre eigenen Grenzen selbst verändern, sich selbst immer mehr zutrauen und sich dabei wie nebenbei Kompetenzen aneignen, ohne dass ich oder meine Kolleginnen bzw. Kollegen dann noch viele Vorträge oder Frontalunterricht brauchen.
 

Stichwort Ausbildungsmethoden: Welche Punkte spielen aus Ihrer Sicht noch eine Rolle, damit Auszubildende Eigenmotivation entwickeln?

Die Unternehmenskultur spielt eine wichtige Rolle. Wir haben beispielsweise keine Lehrwerkstatt. Die Auszubildenden arbeiten also in der Echtproduktion mit und stehen in direktem Kontakt mit den Beschäftigten zum Beispiel an den Maschinen oder in der Logistik. Sie erleben hier, dass die Stimmung im gesamten Unternehmen gut ist und dass das Miteinander wirklich funktioniert. Ob es sich um den Unternehmenserfolg oder den Ausbildungserfolg handelt, es sind immer gemeinsame Erfolge und man kommt nur gemeinsam zum Ziel. Bei uns gibt es im gesamten Unternehmen, also nicht nur bei mir als Ausbildungsleiter, das Prinzip der offenen Bürotür. Das bedeutet: Hat eine Auszubildende oder ein Auszubildender bei der Arbeit in einer Abteilung eine Frage, kann sie oder er einfach bei einem Mitarbeiter oder auch bei der Abteilungsleitung anklopfen, reingehen und fragen. Diese gelebte Offenheit fördert nicht nur den Wissenstransfer von der Fachabteilung an die Auszubildenden, es stärkt auch die Eigenmotivation immens. Das Angebot ist immer da, manche nutzen es mehr, andere weniger, aber so können die Jugendlichen für sich selbst herausfinden, welche Themen und Aufgabenfelder in der Ausbildung bzw. in ihrer späteren Arbeitswelt ihnen besonders gut liegen oder wo sie gerne mehr Unterstützung hätten. Jeder bringt andere Fähigkeiten mit und ich denke ein wesentlicher Teil erfolgreicher Ausbildung besteht allein darin, dass wir die Jugendlichen darin bestärken, ihre Fähigkeiten zu entdecken und selbst weiterzuentwickeln. Mein Job ist es, die Auszubildenden zu unterstützen und ihre Entwicklung zu fördern. Der Job der Auszubildenden ist es, selbst aktiv zu werden, selbstständig zu werden und aktiv mitzumachen – sie müssen ihren eigenen Weg finden und Freude daran entwickeln, diesen Weg auch zu gehen.

Damit schließt sich der Bogen zum Anfang unseres Gesprächs. Noch eine Frage zum Schluss: Welchen Tipp geben Sie Kolleginnen und Kollegen, die die Aufgabe „Ausbilderin/Ausbilder“ neu beginnen? 

Der persönliche Draht zu den Jugendlichen, das Zwischenmenschliche, ist entscheidend, das ist mein Tipp. Natürlich muss auch fachliche Kompetenz vorhanden sein. Doch die Berufswelt und die Technologien entwickeln sich ständig weiter. Es wäre meiner Meinung nach also der falsche Schwerpunkt, sich als Ausbilder daran abzuarbeiten, immer und in jeder Hinsicht die „absolute“ Fachkompetenz zu besitzen. Viel wichtiger ist der Aufbau einer Vertrauensbeziehung und die Bereitschaft, jeden Jugendlichen als Individuum mit eigenen Fähigkeiten zu behandeln. Als ich mit 26 Jahren als Ausbilder angefangen habe, war ich für die Jugendlichen noch fast in ihrem Alter, ich war viel einfacher „einer von ihnen“, von dem sie sich verstanden gefühlt haben. Heute gelte ich mit meinen 39 Jahren bei Jugendlichen schon als „alter Mann“. Die Altersdistanz wird immer größer, das kann ich zwar durch meine Erfahrung wieder ausgleichen, aber als Tipp für Ausbilderinnen und Ausbilder, die neu in diese tolle Aufgabe einsteigen bleibt: Gegenseitiges Vertrauen ist das A und O – die jungen Leute einfach mal machen lassen, sie mit Bedacht in ihre neue Rolle hineinwachsen lassen, auch wenn sie einmal zwei oder drei Anläufe benötigen – darum geht es in der Ausbildung.

Herr Kiowski, diesen Apell geben wir gerne weiter, herzlichen Dank für das interessante Gespräch und die Einblicke, die Sie uns gegeben haben!
 


Zur Person
Sebastian Kiowski

  • Jahrgang 1984
  • 2002 bis 2005 Ausbildung zum Packmitteltechnologen bei der Smurfit Westrock Süd - Neuburg
  • 2007 bis 2009 Weiterbildung zum staatlich geprüften Druck- und Medientechniker einschließlich Ausbilderqualifizierung nach AEVO
  • Seit 2011 Leiter der Ausbildung für zwei bis drei Auszubildende für den Berufsabschluss Packmitteltechnologe/-technologin
     

Zum Unternehmen
Smurfit Westrock (Zusammenschluss von Smurfit Kappa und Westrock) zählt mit rund 100.000 Mitarbeitenden in 40 Ländern zu den weltweit führenden Anbietern von nachhaltigem Papier und papierbasierten Verpackungen. Die Geschäftstätigkeit erstreckt sich von der Forstwirtschaft und Holzbeschaffung sowie dem Recycling über die Papier- und Wellpappenproduktion bis zur Verpackungsherstellung. Am Standort Neuburg an der Donau liegt der Schwerpunkt auf der Wellpappenproduktion und der Entwicklung sowie Realisierung von Faltkisten und innovativen Verpackungslösungen für Consumer-Produkte, Retail, Industrie und E-Commerce. 
Weitere Informationen zum Unternehmen finden Sie hier 


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