Begeisterung statt Abbruch

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Leider bieten die offiziell verfügbaren Statistiken rund um das Thema Ausbildungsabbruch nur wenige Details. Das hat einen einfachen Grund: Es ist sehr schwer nachzuvollziehen, ob die Auflösung eines Ausbildungsvertrages in jedem einzelnen Fall tatsächlich zum Abbruch der Ausbildung führt, oder ob es sich „lediglich“ um einen Wechsel des Ausbildungsbetriebes oder des Ausbildungsberufs vielleicht sogar innerhalb des gleichen Unternehmens handelt.

Aus Sicht der ausbildenden Unternehmen sind diese Unterscheidungen letztlich belanglos, wenn die Auflösung des Ausbildungsvertrages schlicht und einfach bedeutet: Da bricht jemand seine Ausbildung ab, auf die oder den man ein Stück weit für die Zukunft gehofft hatte.

Im Gespräch mit Gisela Schallmoser, einer erfahrenen Ausbildungsberaterin bei der IHK für Niederbayern in Passau, haben wir nach den Mustern gefragt, die sie hinter manchen Ausbildungsabbrüchen erkennt – unabhängig von Gründen, die aus betrieblicher Sicht nicht zu beeinflussen sind wie beispielsweise eine Erkrankung oder ein Unfall des Auszubildenden.

Ihr wichtigster Hinweis vor dem Hintergrund von über 25 Jahren Ausbildungsberatung lautet: „Je professioneller die Ausbildung im Unternehmen organisiert ist und je mehr Rückhalt Ausbildungsleitende bzw. Ausbilderinnen und Ausbilder bei der Geschäftsführung haben, desto geringer fällt das Risiko aus, dass Auszubildende ihre Ausbildung abbrechen.“

So war das nicht geplant

Auch im besten Ausbildungsbetrieb kann es passieren, dass eine Auszubildende oder ein Auszubildender

  • trotz Ausbildungsplatzzusage gar nicht erst antritt,
  • noch während der Probezeit den Ausbildungsvertrag kündigt oder
  • nach einigen Monaten mitteilt, die Ausbildung abbrechen zu wollen.
     

Was nach Ansicht von Gisela Schallmoser allerdings auffällt: Die Unternehmen, in denen es eine Person gibt, die ausschließlichfür die Ausbildung und ggf. auch für die Leitung mehrerer Ausbilderinnen und Ausbilder zuständig ist, sind seltener von Ausbildungsabbrüchen betroffen.

Warum ist das so? „Wenn es diese Ausbildungsleitung bzw. hauptamtlich ausbildende Person nicht gibt, bedeutet das, dass die Ausbildung neben anderen Aufgaben durchgeführt wird. Das funktioniert in den allermeisten Unternehmen auch sehr gut“, betont Gisela Schallmoser mit Nachdruck: „Nebenberufliche Ausbilderinnen und Ausbilder kümmern sich in aller Regel mit genauso viel Engagement, Leidenschaft, Know-how und Innovationsbereitschaft um ihre Auszubildenden, wie die hauptamtlichen. Problematisch wird es jedoch, wenn für nebenberufliche Ausbilderinnen und Ausbilder die Prioritäten nicht eindeutig geklärt sind oder mit der Zeit durcheinander geraten.“

Riskant: Ausbilden unter Hochdruck

Um es bewusst überspitzt darzustellen: Nebenberufliche Ausbilderinnen und Ausbilder stehen unter der Doppelbelastung ihrer eigentlichen Arbeit und dem Ausbilden. Deshalb muss auch klar und verbindlich geklärt sein, welchen Anteil ihrer zur Verfügung stehenden Arbeitszeit beide Aufgaben jeweils haben sollen. Denn in den Fällen, in denen sich beide Aufgaben nicht (mehr) miteinander vereinbaren lassen, kann es früher oder später zu Schwierigkeiten kommen.

„Wenn die eigentliche Arbeit überhandnimmt und nicht reduziert werden kann oder darf, droht Ausbildung zur belastenden Zusatzaufgabe zu werden. Und wenn Ausbildende permanent unter Hochdruck stehen und mit dem Kopf ständig ganz wo anders sind, nehmen das natürlich auch die Azubis wahr“, erläutert Gisela Schallmoser und ergänzt: „Ein solches ‚Unter-Hochdruck-Ausbilden‘ kann leicht dazu führen, dass die Ausbildenden die Antennen für die Befindlichkeiten ihrer Azubis verlieren. Zu wenig Zeit für Einzelgespräche und Feedbacks und ein permanent zu hohes Stresslevel – wo sich dieses Muster zeigt, steigt auch das Risiko von Ausbildungsabbrüchen.“

Auf der Hand liegt auch, dass es bei einem „Unter-Hochdruck-Ausbilden“ kaum Zeit gibt, um das Team der weiteren an der Ausbildung beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu steuern. Der Haken dabei: „Es entsteht eine ‚Betriebsblindheit‘, die den Blick auf Probleme oder erforderliche Veränderungen in der Ausbildung verstellt.“

Beispiel
Ein an der Ausbildung seit vielen Jahren beteiligter Mitarbeiter und ein Azubi finden nicht zusammen, es entstehen Schwierigkeiten. Wer ständig unter Hochdruck ausbildet, wird diese Entwicklung kaum rechtzeitig erkennen, dazu fehlt einfach die Zeit und die Distanz. Zudem bedeutet es zusätzlichen Stress, Schwierigkeiten im Ausbildungsteam zu thematisieren – man ist froh, wenn es einfach läuft. „Am Ende liegt es dann wahrscheinlich am Azubi, dass es Probleme gibt, denn niemand hat Zeit und Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Dass ein junger Mensch dann irgendwann hinschmeißt, darf nicht verwundern“, berichtet Gisela Schallmoser aus ihrer Praxiserfahrung.

Raus aus dem Teufelskreis

Noch ein weiterer Zusammenhang wird nach Ansicht von Gisela Schallmoser in den letzten Jahren immer deutlicher: Der zunehmende Fachkräftemangel betrifft alle Unternehmen und alle Branchen. Die in den Betrieben herrschende Personalnot führt dazu, dass die vorhandenen Beschäftigten Mehrarbeit leisten (müssen) – auch die Ausbilderinnen und Ausbilder. Wenn sie aber ohnehin schon unter Hochdruck stehen, reduziert sich durch die zunehmende Mehrarbeit nochmals die für die Ausbildung zur Verfügung stehende Zeit. Der Druck steigt – und die potenzielle Unzufriedenheit bei den Auszubildenden gleich mit, was das Risiko eines Ausbilddungsabbruchs erhöht. Zusätzlich droht dann, dass es keine Nachrücker auf die Stellen von altersbedingt ausscheidenden Fachkräften gibt.

Tipp

Auch wenn es eine erhebliche Umverteilung der vorhandenen Arbeit und Zuständigkeiten bedeuten kann: Je höher der Erwartungsdruck an das Gelingen der Ausbildung und das „Herbeiführen“ von Nachwuchsfachkräften ist, desto wichtiger ist es, dass die verantwortlichen Ausbilderinnen bzw. Ausbilder sich möglichst umfassend um die Ausbildungsqualität und um die Führung des Ausbildungsteams kümmern können.

Sprechen Sie ggf. mit Ihrer Geschäftsleitung und verdeutlichen Sie den Zusammenhang: Ausbildung kann das Erfolgsrezept gegen den Fachkräftemangel sein, wenn im Unternehmen konsequent für die erforderlichen Ressourcen (Arbeitszeit, Ausstattung, Kompetenz des ausbildenden Personals) gesorgt ist. Die Devise lautet heute mehr denn je: Top oder Flop!

 

Die heutigen Azubis ticken anders als früher

Stichwort „demografischer Wandel“: Der demografische Wandel bedeutet nicht „nur“, dass sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Generationen immer weiter in Richtung der Älteren verschiebt. In Zeiten, in denen auf nahezu jedem Firmenwagen zu lesen ist „Auszubildende gesucht!“, hat sich auch die Mentalität der jungen Generation massiv verändert.

Die Jugendlichen von heute wissen, dass sie ein begehrtes „Gut“ sind und haben höhere Erwartungen als früher. Während Ausbilderinnen und Ausbilder ihre eigene Ausbildung oft mit der Grundstimmung absolviert haben „ich kann froh sein, dass ich einen Ausbildungsplatz habe, denn andere Bewerber stehen Schlange“, sieht das für die heutigen Azubis ganz anders aus: „Wenn mir die Ausbildung hier keinen Spaß macht, dann suche ich mir eben einen anderen Ausbildungsbetrieb, es gibt ja zig Angebote“. Im Unterschied zu vor 20 Jahren ist ein Ausbildungsabbruch heute eben kein Beinbruch mehr, weil die Unternehmen händeringend nach Auszubildenden suchen.

Azubi-Perspektive auf den Punkt gebracht

Die heutigen Jugendlichen

  • starten mit einem viel höheren Selbstwertgefühl in ihre Ausbildung.
  • stellen deutlich höhere Erwartungen an ihre Ausbildung.
  • sind in einem viel geringeren Maß als früher dazu bereit, unangenehme Situationen bzw. Zustände längere Zeit hinzunehmen.
  • verstehen sich gedanklich in keiner Weise „am unteren Ende der Leiter“.
     

Auf der anderen Seite zeichnet heutige Jugendliche in vielen Fällen aus, dass sie

  • ein selbstständiges Arbeiten anstreben.
  • Eigenverantwortung übernehmen wollen.
  • ihre Potenziale für die Dinge, die ihnen Spaß machen und die ihnen sinnvoll erscheinen, aktiv und kreativ einbringen.
     

Selbstentfaltung statt Unterordnung kennzeichnet das Selbstverständnis.

Tipp

Führen Sie sich als Ausbilderin bzw. Ausbilder diese Generations- und Mentalitätsunterschiede klar vor Augen und diskutieren sie diese auch in Ihrem Ausbildungsteam. Es lohnt sich, auch mit den Lehrenden der Berufsschule über diese Thematik zu sprechen. Und nicht zuletzt: Scheuen Sie sich nicht, sich mit den „Eigenarten“ der jungen Generationen Z, Alpha usw. tiefer auseinanderzusetzen und ggf. auch ein Training im Kreis von Gleichgesinnten zu absolvieren.

 

Fazit

Das Risiko von Ausbildungsabbrüchen können Unternehmen durch eine konsequente Professionalisierung ihrer Ausbildung senken:

  • Sorgen Sie dafür, dass es eine verantwortliche Person gibt, für die die Leitung der Ausbildung bzw. die eigene Ausbildungstätigkeit wirklich (!) im Zentrum steht – ohne Überlastung mit weiteren Tätigkeiten und Aufgaben.
     
  • Gehen Sie als Ausbildungsbetrieb so wenige Kompromisse wie möglich ein: Vergegenwärtigen Sie sich im Zweifelsfalle, dass aus Sicht der Jugendlichen die Ausbildung im Betrieb entweder Top ist – oder Flop.

    Und nicht zuletzt:

  • Entwickeln Sie die Ausbildung in Ihrem Unternehmen kontinuierlich weiter und ermöglichen Sie
    • ein enges persönliches Verhältnis zwischen den Azubis und ihrer Ausbilderin bzw. ihrem Ausbilder und idealerweise auch den weiteren Mitgliedern Ihres Ausbildungsteams.
    • kurze Wege und hohe Flexibilität, um die Ausbildung an die individuelle Kompetenzentfaltung Ihrer Azubis anpassen zu können, beispielsweise durch individuelle Spezialisierungen oder Fördermaßnahmen, durch besondere Zusatzprojekte, Zusatztrainings usw.  
    • Wertschätzung, Anerkennung und Erfolgserlebnisse in einem echten Team.
    • kontinuierliches Abteilungs- bzw. bereichsübergreifendes Lernen.

 

Weitere Infos zum Thema

Zum Thema Ausbildungsabbrüche: Lernreich-Praxistipps „Ausbildungsabbrüchen entgegenwirken“ 

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