Leidenschaft entfacht

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„Deutschlands beste Auszubildende“ – jedes Jahr ehrt der DIHK mit einer Feier die Top-Absolventinnen und -Absolventen des jeweiligen Ausbildungsjahrgangs und wirbt zugleich in den Medien und gegenüber der Politik für die Leistungsfähigkeit der dualen Ausbildung. Ehre gebührt aber ebenso den Ausbildungsbetrieben und insbesondere den verantwortlichen Ausbilderinnen und Ausbildern. Denn letztlich sind sie es, die die jungen Talente zu ihrem besonderen Erfolg führen.

Einer von ihnen ist Helmut Schreier, seit 35 Jahren Ausbilder. 2019 schloss einer seiner angehenden Konstruktionsmechaniker mit Spitzenergebnissen seine Prüfungen ab – einer von Deutschlands besten Auszubildenden.

Herr Schreier, da haben Sie wohl einen von den Besten „an Land gezogen“, wie ist ihnen das gelungen?

Helmut Schreier: Tatsächlich wussten wir gar nicht, dass der junge Mann sich so toll entwickeln würde. Ich denke sogar, dass am Anfang der Ausbildung bei keinem Jugendlichen feststeht, wie er oder sie sich in der Ausbildung macht. Gute Schulnoten sind ebenso wenig eine Garantie für leistungsstarke Auszubildende wie schlechte Noten bedeuten, dass die Bewerberin oder der Bewerber in der Ausbildung nur mit Schwierigkeiten erfolgreich abschließen wird.

Dann sah das Zeugnis zur mittleren Reife Ihres besten Auszubildenden also gar nicht so toll aus?

Das stimmt, das war ein 3er-Schnitt, genau deswegen haben wir uns für ihn entschieden.

Wie bitte? Sie wählen einen Bewerber aus, weil sein Zeugnis nicht mit Einsen und Zweien glänzt?

Das ist eine Frage der Erfahrung und der Perspektive. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diejenigen mit den besten Schulnoten nach ihrer Ausbildung auch im Nu wieder weg sind und zum Beispiel ihr Abitur nachmachen und anschließend ein Studium beginnen. Das ist aus deren Sicht auch nachvollziehbar, aber für uns geht es bei der Ausbildung um etwas anderes. Die Anzahl der Ausbildungsplätze ist bei uns abgestimmt auf die Personalentwicklung. Wer wird aus Altersgründen in absehbarer Zeit das Unternehmen verlassen, wer rutscht nach und wie besetzen wir von unten nach oben nach? Für diese langfristige Perspektive in unserem Unternehmen bilden wir aus und unsere Auszubildenden wissen auch, dass sie nach ihrem Abschluss möglichst im Unternehmen bleiben sollen und hier ihre weitere Karriere starten können.

Das ist der Grund, warum wir gar nicht die „Besten“ wollen. Wir nehmen sehr gerne die auf dem Papier mittelmäßig erscheinenden, aber auf jeden Fall aufgeweckten Jugendlichen und geben ihnen von Anfang an eine langfristige Entwicklungsperspektive. Damit fahren wir und unsere Auszubildenden sehr gut.

Okay, auf Schulnoten geben Sie also nicht so viel bei der Bewerberauswahl. Was ist für Sie das Ausschlaggebende?

Wir führen keinen besonderen Eignungstest oder so etwas durch. Es finden lediglich zwei Gesprächsrunden statt, in denen es, um es auf den Punkt zu bringen, sehr viel um den persönlichen Eindruck geht: Was ist das für eine oder einer? Finden wir einen Draht zueinander? Wird  diejenige oder derjenige zu uns und in das entsprechende Team passen? Ich entscheide das nicht alleine, aber wir vertrauen gemeinsam vor allem unserer Erfahrung und Menschenkenntnis, die wir durch unsere tägliche Arbeit mit vielen Jugendlichen aufgebaut haben.

Zurück zu Ihrem besonderen Ausbildungserfolg von 2019. Worauf kommt es Ihrer Meinung nach an, damit eine Jugendliche oder ein Jugendlicher in der Ausbildung so durchstartet, wie es bei Ihnen der Fall war?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Unser Konstruktionsmechaniker war einfach von Anfang an wirklich sehr interessiert. Man hat ihm seine besondere Neugier auf alles, was mit seinem Ausbildungsberuf zu tun hat, fast angesehen. Vielleicht ist das schon das Wichtigste auf Seiten der Auszubildenden, dass sie neugierig sind. Manchmal müssen wir Ausbilder diese Neugier erst wecken, bevor sich jemand selbstmotiviert entfaltet, bei anderen ist sie schon da, das ist sehr unterschiedlich. Ich glaube aber das echte Interesse an dem, worum es in der jeweiligen Ausbildung insgesamt geht, ist entscheidend. Ebenso entscheidend ist, dass wir die Leidenschaft für den Beruf entfachen  können.

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man es als Ausbilder dabei nicht übertreiben darf. Wenn einer in der Gruppe schon Feuer und Flamme ist und immer noch mehr wissen will, genau das war damals der Fall, dann kriegt er natürlich auch mehr Input. Aber es darf nicht so sein, dass die anderen dadurch frustriert werden, weil bei ihnen schon schneller „der Kanal voll ist“.

Wie meinen Sie das?

Ausbildung hat bekanntlich sehr viel mit Führung zu tun. Man muss also erkennen: „Wie weit kann ich gehen? Wann ist jemand überfordert?“ Die Lernkurve steigt und fällt bei jeder und jedem Auszubildenden etwas anders. Da ist viel Sensibilität gefordert, um in jeder Situation und
Gruppenkonstellation immer wieder das richtige Maß zu finden und den Level für alle oben zu halten.

Wie gelingt Ihnen das praktisch?

Auf der einen Seite muss einem das wohl liegen, man muss Spaß an der Aufgabe Ausbildung und am Umgang mit Menschen haben, die mittendrin sind im Prozess des Erwachsenwerdens, während man sich selbst von dieser Phase immer weiter entfernt und älter wird. Wer an diesem Brückenschlag keine Freude mehr hat, sollte aufhören auszubilden. Ich persönlich finde das heute noch so spannend wie vor 30 Jahren.

Auf der anderen Seite möchte ich sehr klar zum Ausdruck bringen, dass mir das Unternehmen einen sehr großen Freiraum gibt, wie wir die Ausbildung im Unternehmen gestalten, das ist Ausdruck eines großen Vertrauens in uns Ausbilder, dafür sind wir sehr dankbar. Ich darf und kann mir für unsere Auszubildenden Zeit nehmen und es gibt kein zu enges Korsett, durch das der Wissensdurst „abgewürgt“ wird.

Aber auch die Auszubildenden müssen sich doch unternehmerisch rechnen?

Ich kenn diese Denke und ich verstehe auch, dass bei manchen Unternehmen alles darauf ausgerichtet ist, dass alle Mitarbeitenden einschließlich der Auszubildenden die Wertschöpfung vorantreiben. Zum Glück sehen wir bei Goldhofer das anders, allerdings auch aus gutem Grund.

Und der wäre?

Schauen Sie, was wir für Produkte herstellen und vermarkten. Wir sind ein High-Tech-Unternehmen und wir brauchen Mitarbeitende, die diesen High-Tech- und High-Quality-Anspruch verinnerlichen und von sich aus mittragen. Dafür braucht es insbesondere in der Ausbildung junger Menschen einfach Zeit: bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Doch die Investition in Zeit rechnet sich durch hohe Kompetenz und die enge Verbundenheit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen.

Was wäre für Sie demzufolge das Do und Don’t in der heutigen Ausbildung?

„Ich bin Chef und Du bist Null“, diese Art hierarchischer Führung ist meiner Erfahrung nach bei den heutigen Jugendlichen zum Scheitern verurteilt, das passt heute nicht mehr in die Zeit. Ebenso halte ich Eintönigkeit bei den Lern- und Arbeitsaufgaben für die schlimmsten Motivations- und Interessenskiller. Im Umkehrschluss sind also ein moderner kooperativer und partizipativer Führungsstil und vorausschauend entwickelte Abwechslung im Ausbildungsplan gefragt.

Ich übertrage zum Beispiel den Auszubildenden im zweiten Ausbildungsjahr bestimmte Aufgaben als meine linke Hand zur Führung der
Auszubildenden im ersten Jahr. So werden die Begriffe „Anerkennung“, „Eigenverantwortung“, „Führungsverantwortung“, „Teamarbeit“ und viele weitere wichtige Aspekte der Zusammenarbeit mit persönlichen positiven Erfahrungen gefüllt.

Und noch ein Punkt ist mir wichtig: Ich finde, dass eine gute Ausbildung die Jugendlichen in einer gewissen Form auch aufs Leben vorbereiten sollte.

Können Sie das bitte etwas konkreter beschreiben?

Wir beobachten, dass bei vielen heutigen Jugendlichen das Fundament im Hinblick auf Werte und Umgangsformen von den Elternhäusern und in den Schulen nur noch unzureichend angelegt wurde. Wir brauchen aber für das Gelingen unseres Miteinanders – bei uns, bei Goldhofer, und ebenso überhaupt – eine Basis an akzeptierten Werten und selbstverständlichen Formen, wie wir miteinander umgehen, zum Beispiel respektvoll und verbindlich. Wir Ausbilderinnen und Ausbilder sind gewiss keine Erzieherinnen und Erzieher, aber wir können und sollten den Jugendlichen schmackhaft machen, dass sich beispielsweise Eigeninitiative für sie lohnt. Wir sollten ihre Kreativität annehmen und erlebbar machen, dass es miteinander einfach besser funktioniert als allein.

Welche Tipps geben Sie jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die neu als Ausbilderin oder Ausbilder starten?

Mein wichtigster Tipp ist: „Schaut, dass Ihr gemeinsam mit Euren Auszubildenden Spaß an der Arbeit habt!“ Mindestens einmal am Tag sollte man mit seinen Azubis etwas zu lachen haben. So entsteht für die Auszubildenden und für ihre Ausbildenden ein ganz wichtiger gemeinsamer Wert, nämlich die Begeisterung: „Toll, dass ich dabei gewesen bin, da gehe ich gerne wieder hin.“

Mein zweiter Tipp: „Gib Freiräume!“ Die Auszubildenden sollten einen ausreichend großen Handlungsspielraum erhalten, wie ein Kreis, in dem sie sich frei bewegen können. Aber sie sollten dabei auch verstehen, dass es Konsequenzen hat, wenn sie über diese Grenze hinausgehen.

Tipp 3: „Bring Abwechslung rein!“ – hatte ich schon erwähnt, denn Eintönigkeit führt zu Frustration, und frustrierte Auszubildende werden nicht nur das Interesse an ihrer Ausbildung verlieren, sondern auch zu frustrierten Ausbilderinnen und Ausbildern führen. Da können wir alle gerne drauf verzichten.

Daran anschließend auch mein vierter und im Moment letzter Tipp: „Kreativität zulassen!“ Oft ist die Rede von „Kreativität fördern“, dabei bringen die Jugendlichen davon eigentlich meistens schon eine ganze Menge mit. Man muss sie aber auch tatsächlich machen lassen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, so oft wie möglich zu signalisieren: „Mach mal, ich vertraue Dir, du kannst das. Und ich bin auch da
und lasse Dich nicht allein, wenn Du Hilfe brauchst.“

Herr Schreier, zum Schluss noch die Frage: Wie steht es Ihrer Ansicht nach um die duale Ausbildung?

Ich denke, dass das duale System vom Prinzip her ein richtig gutes System ist. Wir haben in unserer Region Top-Leute in der Berufsschule und profitieren von einer super Zusammenarbeit. Was uns alle eint ist: Wir wollen Gutes für die Auszubildenden, damit meine ich, dass aus ihnen allen einmal etwas wird. Vielleicht ist das auch ein wichtiger Wert der Ausbildung, der viel klarer herausgestellt werden sollte, um Jugendliche für die duale Ausbildung zu gewinnen - die akademische Bildung verfolgt jedenfalls andere Ziele.

Herr Schreier, vielen Dank für das interessante Gespräch und die wertvollen Anregungen!

Zur Person

Helmut Schreier

  • Jahrgang 1962
  • 1981 Abschluss der Ausbildung zum Maschinenschlosser
  • 1985 Abschluss zum Maschinenbaumeister
  • Seit 1987 tätig als Ausbilder
  • Heute: Leiter der gewerblichen Ausbildung bei der Goldhofer AG (Memmingen)
     

Pro Ausbildungsjahr bilden Herr Schreier und sein Team zwischen 8 und 12 Auszubildende aus als

  • Konstruktionsmechanikerin/Konstruktionsmechaniker,
  • Zerspanungsmechanikerin/Zerspanungsmechaniker,
  • Industriemechanikerin/Industriemechaniker,
  • Mechatronikerin/Mechatroniker,
  • Fachkraft für Metalltechnik.
     

Insgesamt koordiniert Helmut Schreier 12 Ausbildungsstellen außerhalb der Ausbildungswerkstatt sowie zahlreiche Fachausbilderinnen und Fachausbilder, Ausbildungsbeauftragte sowie in der Ausbildung tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Zum Unternehmen

Die Goldhofer AG entwickelt, produziert und vertreibt Spezialfahrzeuge für den Schwerlasttransport sowie Flugzeug- und Cargoschlepper für alle Einsatzbereiche und Flugzeugtypen. Aktuell beschäftigt das Familienunternehmen mit seinen Geschäftsbereichen Transport- und Airport Technology weltweit über 780 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Weitere Informationen unter: https://www.goldhofer.com