Spitzen-Azubis? Eine Teamleistung!

PraxisInterviews

Zugegeben, die DERTOUR Reisebüro-Gruppe verfügt als Konzern mit rund 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in über 400 Reisebüros sicher über andere Möglichkeiten als das typische kleine oder mittelständische Unternehmen. Bei der Ausbildung von Nachwuchsfachkräften kommt es auf die aber viel weniger an, als man vielleicht spontan denkt. Denn tatsächlich stehen die Ausbildungsverantwortlichen vor denselben Herausforderungen wie viele andere Unternehmen:

  • veränderte gesellschaftliche Strukturen, die sich in Veränderungen bei den Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerbern spiegeln
  • Ausbildung parallel an verschiedenen Standorten
  • ständige Weiterentwicklungen in der beruflichen Praxis


Wir wollten stellvertretend von Christoph Thanner wissen, wie es gelingt, dass in seinem regionalen Verantwortungsbereich trotz der nicht einfacher werdenden Ausbildungsrahmenbedingungen Auszubildende immer wieder als Landes- und/oder Bundesbeste ihren Abschluss machen.

Herr Thanner, Sie sind Verkaufsleiter und steuern fünf Reisebüros in der Region Regensburg. Außerdem sind sie Ausbildungsleiter und koordinieren die Ausbildung von aktuell drei Auszubildenden an drei Standorten. Was ist das Besondere der Ausbildung unter Ihrer Führung?

Christoph Thanner: Eigentlich gar nichts. Ich denke, dass einfach das Gesamtpaket bei uns stimmt und dabei meine ich vor allem, dass die Ausbildung niemals auf nur einer Schulter lastet, sondern von allen als Teamleistung verstanden und gelebt wird.

Mir ist wichtig, dass sich die Ausbildenden untereinander und mit mir als ein Team verstehen, in dem wir alles miteinander besprechen, abstimmen und, falls erforderlich, auch Probleme lösen können. Und ebenso ist für uns selbstverständlich, dass die Ausbildenden an ihren Standorten auch alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Mitglieder des „Teams Ausbildung“ einbeziehen. Davon profitieren ja auch alle: Unsere Auszubildenden, unsere Ausbilderinnen und Ausbilder, ich als Leiter und alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – im Prinzip das ganze Unternehmen.

Können Sie es bitte etwas konkreter beschreiben?

Jeder Ausbilder und jede Ausbilderin hat persönliche Stärken. Der eine ist emotionaler geprägt, die andere dafür sachlicher. Im Team kommen beide Perspektiven zusammen und das macht sich positiv bemerkbar, wenn es zum Beispiel um den „richtigen“ Umgang mit den Auszubildenden geht oder wenn Veränderungen im Ausbildungsablauf oder bei den Inhalten zu planen sind. Davon profitieren die Ausbildenden und die Azubis – der Mix macht’s.

Wir Verkaufsleiter und das Unternehmen insgesamt wollen, dass die Ausbildung unabhängig vom Standort und der persönlichen Prägung der oder des einzelnen Ausbildenden auf einem möglichst einheitlichen Niveau erfolgt. Denn wenn uns das gelingt, können die Auszubildenden bzw. die späteren Fachkräfte auf Anhieb in jedem unserer Reisebüros auf dem gleichen Niveau arbeiten. Für mich wird die Personaleinsatzplanung also flexibler, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter an einem meiner Standorte erkrankt. Und die Nachwuchskräfte gewinnen einen echten Mobilitätsvorteil. Wenn sie wollen, können sie in eine andere Stadt umziehen und dort ohne Probleme in einer unserer Filialen einsteigen. Die Bindung ans Unternehmen wird gestärkt. Eröffnet das Unternehmen einen neuen Standort, wird zuerst intern gefragt, wer Interesse hat, dort einzusteigen, ggf. mit zusätzlichen Anreizen. Außerdem zeigt sich immer wieder, dass das Risiko von Fehlbesetzungen gegenüber neuen, extern qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich niedriger ist: Ausbildung lohnt sich einfach.

Übrigens haben wir im Team der regionalen Verkaufsleiterinnen und Verkaufsleiter zusammen mit einigen Ausbilderinnen und Ausbildern einen speziell auf unser Unternehmen zugeschnittenen Ausbildungsleitfaden geschaffen. Mit dem können alle unsere Azubis jederzeit mitvollziehen, welche Lernziele in welchem Abschnitt der Ausbildung anstehen und wo sie sich auf ihrem Weg zum Berufsabschluss gerade befinden. Das war viel Arbeit aber eben auch vor allem eine Teamleistung, die sich während der Corona-Lockdowns noch einmal besonders ausgezahlt hat. Entlang des Leitfadens konnten wir über Microsoft Teams exakt passende Arbeits- und Lernaufträge vorgeben, die die Azubis selbstständig bearbeitet haben. Alle Beteiligten hatten trotz der plötzlichen Umstellungen, Kontaktverbote und so weiter immer die Orientierung, worum es aktuell in der Ausbildung geht, wo jeder einzelne steht und wie es weitergeht. Im Team einen gemeinsamen Plan zu entwickeln und diesen Plan dann als Teamwork umsetzen, ich denke das ist vielleicht wirklich etwas Besonderes der Ausbildung bei uns.

Inwiefern profitieren die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Filialen von dem Ansatz „Ausbildung als Teamleistung“?

Zusammenhalt ist, glaube ich, hier das entscheidende Stichwort. Wir wollen filialübergreifend Zusammenhalt schaffen, indem wir die Eigenverantwortung und das Miteinander auf Augenhöhe stärken. Das bedeutet, dass unsere Auszubildenden so früh wie möglich eigenverantwortlich Aufgaben übernehmen sollen, die für das gesamte Team vor Ort wichtig sind.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn wir Kataloge an unsere Kunden versenden, bedeutet das: Kataloge aus dem Lagerraum schleppen und einzeln mit einem Adressaufkleber versehen. Bei so einer Aufgabe kommt es auf die Kommunikation, das Miteinander und den Zusammenhalt an. Natürlich könnte man einfach sagen: „Das ist Azubiarbeit, bitte einfach machen, hier sind die 1000 Kataloge, da sind die Adressaufkleber …“ So motiviert man aber niemanden. Deshalb ist uns wichtig, dass die Auszubildenden verstehen, dass das gesamte Team für den gemeinsamen Erfolg die Kataloge braucht und die nötige Sorgfalt beim Versand genauso wichtig ist, wie bei anderen Arbeiten auch. Man muss das im Gesamtkontext erklären. Außerdem ist sich bei uns niemand zu schade, selbst auch die eine oder andere halbe Stunde mitzuhelfen, damit die Versandaktion zügig über die Bühne geht und nicht allein auf den Schultern der Auszubildenden lastet.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen auch in der Ausbildung mitwirken. Jeder hat sein Spezialgebiet, zum Beispiel Kreuzfahrten oder USA-Urlaub oder Kanarische Inseln. Die Azubis sollen von den Besten ihres Fachs lernen. Sie entdecken auf diese Weise auch eher, was für sie später ihr eigenes Spezialgebiet werden könnte. Auch diese Einbindung stärkt den Teamgedanken, zugleich werden die Ausbildenden davon entlastet, immer alles „perfekt“ wissen zu müssen, was heutzutage ohnehin gar nicht mehr möglich ist.

Ein gutes Team braucht aber auch Führung, oder?

Richtig, ich trage die Verantwortung, ich bin somit auch derjenige, der filialübergreifend „draufschaut“, was läuft und wie es läuft. Ich verstehe mich aber in erster Linie selbst als Teamplayer, der auf gegenseitiges Vertrauen und Miteinander setzt. Je besser das Team aus sich selbst heraus funktioniert, desto überflüssiger wird die „Klein-Klein-Kontrolle“. Dieses Prinzip gilt auch für die Ausbildung: Je besser die Auszubildenden verstehen, dass es auf sie ebenso ankommt wie auf alle anderen im Büro, dass sie ein vollwertiger Teil des Teams sind, desto mehr engagieren sie sich von sich aus für die gemeinsamen Ziele.

Das klingt ein wenig danach, als wären Ihre Auszubildenden alle schon etwas älter und persönlich reifer?

Das kann ich nicht pauschal bejahen. Das eigentliche Thema ist viel mehr der Auswahlprozess: Wie können wir aus den Bewerberinnen und Bewerbern die für uns „richtigen“ auswählen?

Und? Wie machen Sie das?

Zuerst einmal sind die Situationen an den Standorten, für die ich verantwortlich bin, sehr unterschiedlich.

Regensburg ist eine Studenten-Stadt, hier haben wir oft Bewerberinnen und Bewerber, die ihr Studium vielleicht abgebrochen oder sogar beendet haben, die sich aber neu orientieren. Unsere Bundesbeste 2022 zählt hierzu. Das Studium hat ihr keine Zufriedenheit verschafft. Nach ihrem Abschluss hat sie sich gefragt, was sie wirklich interessiert und was ihr für die ersten Berufsjahre wichtig ist. So ist sie auf die Ausbildung zur Tourismuskauffrau gestoßen und wir konnten Sie mit unserem Angebot und mit der Art, wie Ausbildung bei uns stattfindet, glücklicherweise für uns begeistern.

Am Standort Weiden sieht das ganz anders aus. Hier haben wir viel weniger Bewerberinnen und Bewerber und nur selten sind darunter solche mit Studienerfahrung.

In der Praxis ist es so, dass ich vom zentralen Bewerbertool des Konzerns die eingegangenen Ausbildungsbewerbungen für mein Verkaufsgebiet erhalte. Ich lade fast alle davon zum persönlichen Gespräch ein, denn der Schulabschluss oder die Noten haben für mich nicht die entscheidende Aussagekraft. Mich interessiert die Person und ob sie im Gespräch ein echtes Interesse, eine Begeisterung für die Touristik zeigt. Der Funke muss erkennbar sein, dann können wir die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dazu bringen, für ihre berufliche Zukunft bei uns zu brennen. Die klassische Bewerbung von früher taugt meiner Meinung nach als Instrument für die Bewerberauswahl nicht mehr.  

Ist das nicht ein Risiko, sich vor allem auf die persönliche Einschätzung zu verlassen?

Ich glaube, das ist nur ehrlich. Ich führe das Gespräch aber auch nicht alleine, wir diskutieren unsere Eindrücke wie gesagt im Team. Wir sehen es so: Eine Erfolgsgarantie gibt es ohnehin nicht. Auch wenn jemand tolle Schulnoten im Zeugnis vorweisen kann, passt die Person deshalb nicht automatisch zu uns und insbesondere ins Team vor Ort. Man muss heute einfach offen sein und sich trauen, auch solche Bewerberinnen oder Bewerber in die Ausbildung zu nehmen, die die Wunschvorstellungen nicht erfüllen, immer öfter haben wir ja gar keine andere Möglichkeit. Das bedeutet vielleicht in der einen oder anderen Hinsicht ein Mehr an Aufwand und erfordert auch mehr persönliches Engagement, aber am Ende zählt, ob wir eine neue engagierte und kompetente Fachkraft für unser Unternehmen „heranziehen“ konnten.

Wir haben beispielsweise eine Jugendliche mit russischen Wurzeln in die Ausbildung übernommen, die in der Kommunikation auf Deutsch damals noch recht unsicher war. Das hat sich alles gegeben, sie hat den Rückhalt im Team erfahren und dadurch immer mehr Selbstvertrauen gewonnen. Heute zählt die Kollegin zu den besten Verkäuferinnen und das Besondere ist, dass sie Kunden, die russisch sprechen, auch auf Russisch beraten kann – viele kommen extra zu ihr, weil das möglich ist. Hätten wir nur auf die Deutschnote im Zeugnis geschaut, hätten wir dieses Talent nie für uns gewinnen können.

Was halten Sie noch für wichtig, um die Leistungsbereitschaft der Auszubildenden zu entfachen und aufrecht zu erhalten?

Ich denke, man sollte von Anfang an eine attraktive Perspektive aufzeigen, wie es nach der Ausbildung im Unternehmen weitergehen kann, die Jugendlichen wollen das wissen. Wir haben im Unternehmen verschiedene interne Weiterbildungsprogramme, ich selbst bin ein gutes Beispiel dafür, dass Karriere bei uns auch ohne ein zusätzliches Studium sehr gut möglich ist.

Um die Leistungsbereitschaft hochzuhalten, müssen wir eigentlich nichts Besonderes tun, denn die kommt aus dem gesamten Team heraus. Ich kümmere mich also viel mehr darum, dass das Miteinander und die Motivation im gesamten Team einer Filiale stimmen, als dass ich speziell bei der oder dem Auszubildenden nachhake. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede und natürlich findet auch bei uns die persönliche Betreuung und Lernbegleitung der Auszubildenden statt, wie sie vorgeschrieben sind, aber noch einmal: Gute Azubis, die sich Schritt für Schritt für immer mehr Aufgaben und Eigenverantwortung qualifizieren, die sich gerne einbringen, weil sie sich wohlfühlen und Anerkennung erfahren, alles das ist bei uns zu einem wesentlichen Teil eine Teamleistung.

Herr Thanner, vielen Dank für diese interessante Perspektive und in diesem Sinne: Ihnen und Ihrem gesamten Team weiterhin viel Erfolg!

 

Zur Person

Christoph Thanner

  • 35 Jahre
  • Fachabitur
  • Studium Maschinenbau (nicht beendet)
  • Ausbildung zum Tourismuskaufmann bei DERTOUR
  • internes dreijähriges Führungskräftetraining
  • heute: Verkaufsleiter und Ausbildungsleiter, Region Regensburg

 

Links zum Thema "Ausbildung klug steuern"

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