Zu wenig Zeit für die Ausbildung?

PraxisArtikel

Die Tätigkeit als Ausbilderin oder Ausbilder unterscheidet sich von vielen anderen Jobs gerade auch mit Blick auf das Thema Zeitmanagement. Denn zum einen ist die Ausbildung für viele Ausbildende eine Aufgabe, die sie neben bzw. zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job erfüllen sollen. Wird das Arbeitsaufkommen hier zu hoch, bleibt manches Mal nichts anderes übrig, als Zeit aufseiten der Ausbildung abzuzweigen. Die sog. nebenberuflichen Ausbilderinnen und Ausbilder stellen die Mehrheit in den Ausbildungsbetrieben dar.

Zum anderen kommt es ganz entscheidend auf die Auszubildenden an, wie viel Zeit erforderlich ist, damit sie die jeweils anstehenden Lernziele erreichen und die vorgegebenen Ausbildungsabschnitte erfolgreich absolvieren können. Manchmal läuft alles wie am Schnürchen. Aber oft genug müssten Ausbilderinnen bzw. Ausbilder eigentlich hier oder da noch einmal nachhelfen, ein Thema einmal anders aufbereiten, methodisch etwas Neues ausprobieren, ganz anders motivieren – eigentlich, wenn man die Zeit dazu hätte …

Diese Unterschiede sind auch ein Grund dafür, dass die typischen Zeitmanagementmethoden, die mit einer einfachen Internetrecherche leicht zu finden und nachzulesen sind, in der Ausbildungspraxis oft nur wenig Anklang finden oder schlicht und einfach ungeeignet sind.

Taugt-nicht-Beispiele 
Wer ein guter Zeitmanager ist, achtet darauf, Störquellen auszuschalten und auch Nein zu unerwarteten bzw. unangemeldeten Zusatzaufgaben zu sagen. Doch Auszubildende, die unerwartet mit einer Frage im Raum stehen, lassen sich wohl kaum als „Störquelle“ verstehen und mit einem „Nein, ich habe jetzt keine zusätzliche Zeit für dich“ ist es wohl auch nicht getan.

Auch die oft bemühte ALPEN-Methode einer strukturierten Tagesplanung taugt eher für den Alltag in einer wohl geordneten Verwaltung als für die Praxis in vielen Ausbildungsbetrieben:

A – Aufgaben und Termine (des Tages/der Woche) sichten und z. B. auf einem Blatt festhalten. 
L – Länge der Aufgabenerledigung einschätzen und zu jeder Aufgabe notieren.
P – Pufferzeiten einkalkulieren.
E – Entscheiden, welche Aufgaben in welcher Prioritätsreihenfolge bearbeitet werden.
N – Nachprüfen, ob „A-L-P-E“ funktioniert – oder einfach nur Zeit gekostet hat?
 

Um es konstruktiv zu formulieren: Selbstverständlich lohnt es sich für Ausbilderinnen und Ausbilder, sich mit gängigen Methoden des Zeitmanagements auseinanderzusetzen und zu überlegen: Ist das ein Vorgehen, das mir hilft, meine knappe Zeit besser zu nutzen? Für diese Beschäftigung mit dem Thema Zeitmanagement muss man sich allerdings auch wenigstens einmal ganz bewusst die Zeit nehmen und: Man muss die ausgewählte Methode ernsthaft praktisch erproben, um feststellen zu können, ob sie für einen selbst und das eigene berufliche Umfeld geeignet ist und einem mehr Zeit verschafft. 

Was können Ausbilderinnen und Ausbilder noch tun?
In zwei Richtungen können Ausbildende aktiv werden, um die Problematik des „zu wenig Zeit“ anzugehen. Adressatenkreis Nummer 1 sind die eigenen Vorgesetzten und/oder die Geschäftsleitung. Sie müssen davon überzeugt werden, dass es in der Ausbildung immer mal wieder Situationen bzw. Phasen gibt, die außerplanmäßig mehr Zeit erfordern, um die Ausbildungsqualität sicherzustellen, dazu im Folgenden mehr.

Adressatenkreis Nummer 2 sind die Auszubildenden. Denn je strukturierter sie ihre Aufgaben erledigen, desto besser können auch ihre Ausbilderinnen bzw. Ausbilder ihre Zeit einteilen und auf die individuellen Bedürfnisse eingehen.

Vorgesetzte ins Boot holen  
Wenn (nebenberufliche) Ausbilderinnen und Ausbilder über zu wenig Zeit klagen, steckt dahinter oft eine schleichende Entwicklung. Als sie die Aufgabe „Ausbildung“ vielleicht bereits vor Jahren übernommen haben, wurde die hierfür erforderliche Zeit mit den Vorgesetzten mehr oder weniger präzise abgestimmt. Doch der sich immer schneller verändernden Arbeitswelt wird eine starre, vielleicht auch „überholte“ Zeitzuteilung ebenso wenig gerecht wie der Individualität von Auszubildenden.

Das bedeutet: Es empfiehlt sich insbesondere für nebenberuflich Ausbildende, die Zeitzuteilung zwischen ihrer eigentlichen Berufstätigkeit und der Ausbildungstätigkeit regelmäßig mit ihren Vorgesetzten zu besprechen und mit Blick auf die tatsächliche Unternehmenssituation sowie mit Blick auf die individuellen Persönlichkeiten der aktuellen Auszubildenden abzustimmen. 

TIPP

Nehmen Sie Ihre Vorgesetzten bewusst und aktiv mit in die Verantwortung, denn es geht um strategische Entscheidungen:
 

  • Was ist für uns in der aktuellen Unternehmenssituation wichtiger?

     a) Der Ausbildungserfolg und eine oder mehrere Nachwuchskräfte, die nach ihrem Abschluss gerne bei uns im Unternehmen bleiben?

    Oder
    b) Das Bestehen einer aktuellen herausfordernden unternehmerischen Phase ggf. auch zu Lasten der Ausbildung.

    Achtung: Es geht hierbei lediglich um die Entscheidung, nicht um die Bewertung!

 

  • Wie schätzen wir das Potenzial jedes einzelnen unserer Auszubildenden ein?

    Wollen wir jeden von ihnen WIRKLICH als Fachkraft für unser Unternehmen gewinnen?

    Oder lassen wir es bei dieser Kandidatin/bei diesem Kandidaten BEWUSST darauf ankommen, dass der Erfolg evtl. gefährdet ist und sie/er vorzeitig abbricht oder nach der Ausbildung das Unternehmen wahrscheinlich verlassen wird?

    Achtung: Es geht hierbei lediglich um die Klärung von Erwartungen und Erfolgsaussichten.
     

 

Klar, solche Zuspitzungen lassen sich einfach aufs Papier schreiben, aber nicht so leicht in einem Gespräch mit „den Chefs“ rüberbringen. Im Kern dreht es sich jedoch darum, dass Ausbilderinnen und Ausbilder ihre Rolle und deren aktuelle Anforderungen „nach oben“ sichtbar machen und absichern.

Beispiel 1
„Wir haben mit viel Aufwand eine/einen Auszubildenden für uns gewinnen können. Meiner Einschätzung nach hat sie/er das Potenzial, wenn wir den Aspekt XY nochmals fördern/wenn wir sie/ihn intensiver als sonst betreuen und begleiten. Wenn ich das tun soll, dann brauche ich dazu mehr Zeit (als sonst/als bei den bisherigen Auszubildenden/als es bei der aktuellen Situation in der Abteilung möglich ist …).“

Beispiel 2
„Ich bin mit Leidenschaft gerne Ausbilderin/Ausbilder und ich arbeite ebenso gerne als XYZ in meiner Abteilung. Meine Aufgaben haben sich im letzten Jahr/im Zeitraum XY erheblich verändert und ich muss/will auch die Ausbildung weiterentwickeln, damit wir erfolgreich sind. Deshalb möchte ich heute/mit der Leitung abstimmen, wie ich meine Arbeitszeit für die Fachkräftesicherung einerseits und für die Aufgaben in der Abteilung andererseits einteilen soll – denn mit der aktuellen Verteilung ist beiden Seiten nicht gut gedient.“

TIPPS für
ein solches
Gespräch

  • Machen Sie klar, dass es nicht um „Meckern“ und „Fordern“ geht, sondern um gute Ergebnisse für das Unternehmen – entweder im Hinblick auf die Fachkräftesicherung oder im Hinblick auf Ihre originären Aufgaben: Die Dinge „richtig“ machen.
     
  • Machen Sie klar, dass Sie das Gespräch mit einem Blick nach vorne suchen, um drohende Unzufriedenheiten (der/des Auszubildenden, der Abteilung, eines wichtigen Kunden, von Kolleginnen/Kollegen …) abzuwenden.
     
  • Machen Sie klar, dass es Ihnen nicht um eine „endgültige“ Neuregelung Ihrer Arbeitszeit geht, sondern um eine gut begründete andere Art der Zeitverteilung, die Sie erproben möchten.
     
  • Verdeutlichen Sie hierbei auch, dass Sie nach einer Erprobungszeit gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung, ggf. auch mit der/dem Auszubildenden und selbstverständlich mit den Vorgesetzten noch einmal besprechen wollen, ob die angestrebten positiven Effekte erreicht werden konnten.

 

Nicht zuletzt: Zeigen Sie auch konkret auf, welche Maßnahmen Sie auf ihrer Seite in Gang gesetzt haben/setzen werden/setzen wollen, um mit ihren Auszubildenden die zur Verfügung stehende Zeit besser zu nutzen zu können – Adressatenkreis Nummer 2 …

Zeitmanagement für Auszubildende?

Die Ausbildung will fachliche Kompetenzen vermitteln und die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit fördern. Hierzu zählt in jedem Falle die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und hierbei die eigenen Lern- und Arbeitsweisen zu hinterfragen. In diesen Kontext ist somit auch die Entwicklung eines persönlichen Zeitmanagements für Auszubildende einzuordnen. So, wie bei typischen beruflichen Aufgaben das Thema Zeitmanagement zu berücksichtigen ist, gehört es auch zur Organisation des eigenen Lernens.

Wie könnte das konkret in die Ausbildung integriert werden?

  • Erklären Sie Ihren Auszubildenden bereits frühzeitig zum Beginn ihrer Ausbildung, inwiefern sie selbst davon profitieren, wenn sie ihr persönliches Zeitmanagement entwickeln: Die Zeit besser zu nutzen, bedeutet zielgerichteter zu lernen und dadurch, ganz nebenbei auch, mehr Freizeit zu haben :-))
  • Lassen Sie Ihre Auszubildenden als Hausaufgabe oder Lernauftrag im Unternehmen eine Kurzdarstellung von typischen Zeitmanagementmethoden erarbeiten und präsentieren (zum Beispiel 10 Minuten je Methode).
  • Lassen Sie die Eignung der vorgestellten Methoden durch Ihre Auszubildenden selbst bewerten.
  • Nehmen Sie sich gemeinsam mit Ihren Auszubildenden vor, die am besten bewertete Methode zum Beispiel einen Monat lang gemeinsam KONSEQUENT zu erproben.
  • Holen Sie während des Erprobungsmonats Zwischenfeedbacks ein, durch die Ihre Auszubildenden jeweils für sich die Frage beantworten, ob die gewählte Methode ihnen spürbar etwas bringt und zu ihrem Lerntypus bzw. zu ihrer Persönlichkeit passt.
  • Erstellen Sie nach dem Erprobungsmonat gemeinsam ein Fazit zum Beispiel als Punktevergabe:
    - Die Methode trägt zu verbesserten Arbeitsergebnissen bei (Punktzahl)
    - Die Methode trägt zu einer verbesserten Zusammenarbeit im Team bei (Punktzahl)
    - Persönliche Bewertung: Die Methode passt zu mir (Punktzahl)
    - Für den Erfolg der Methode kommt es ganz besonders darauf an, dass … (Stichwörter)
    - Die Methode erhält die Gesamtnote (Schulnote)
  • Nehmen Sie sich gemeinsam die Erprobung einer weiteren Methode für einen Monat vor, oder, je nach Akzeptanz des Themas und Begeisterung Ihrer Auszubildenden, überlassen Sie ihren Auszubildenden, jeweils für sich eine weitere Methode selbst auszuwählen und deren KONSEQUENTE Anwendung zu erproben.

Alles in allem verankern Sie auf diese Weise ein Bewusstsein in den Köpfen Ihrer Auszubildenden, dass der bewusste Umgang mit der Ressource Zeit für das eigene Wohlbefinden und den eigenen Erfolg eine immense Bedeutung besitzt. Auf dieser Grundlage entstehen dann auch Verständnis und insbesondere Akzeptanz, wenn Sie klare zeitliche Strukturen für die Ausbildung vorgeben:

  • Meine Tür ist immer offen für Euch. Aber ganz weit offen ist sie …
  • Wenn Ihr spontane Probleme oder Anliegen habt, nehmt Euch bitte vorher 5 Minuten Zeit, um Euch zu überlegen, wie ihr sie mir gegenüber vortragt und auf den Punkt bringt.
  • Sobald Ihr merkt, dass Ihr mit der vorgesehenen Zeit nicht hinkommen werdet, meldet Euch, damit wir den Zeitplan anpassen bzw. neugestalten können.
  • … 
     

Das Funktionieren solcher Vereinbarungen muss wachsen können. Dafür braucht es aufseiten Ihrer Auszubildenden den eigenen Lernprozess in Richtung persönliches Zeitmanagement. Je strukturierter Ihre Auszubildenden ihre Aufgaben erledigen, desto besser können Sie als Ausbilderin bzw. Ausbilder ihre Zeit einteilen und auf individuelle Bedürfnisse eingehen – lohnt sich!

Typische Methoden des Zeitmanagements 

Auswahl zum selber recherchieren, ohne Anspruch auf Vollständigkeit

  • ABC-Analyse des Zeitmanagements
  • ALPEN-Methode
  • Eisenhowermatrix
  • Kanban-Methode des Projektmanagements 
  • Eat the Frog
  • 60-60-30 Takt
  • Pomodoro-Technik
  • Zeitflussanalyse

Und auch das sei abschließend noch erwähnt: Viele Bildungsträger bieten beispielsweise Tagesseminare und Trainings zum Thema "Zeitmanagement für Auszubildende". Wie bei den allermeisten beruflichen Kompetenzen wächst aber auch hier das Können vor allem durch eigene echte Praxiserfahrungen mit dem Thema. Deshalb empfehlen wir die bewusste und explizite Integration des Zeitmanagements in den Ausbildungsplan in einer Art und Weise, wie sie oben beispielhaft skizziert wurde. 

Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie uns an: info@bihk.de