Prüfende freistellen: zahlt sich vielfach aus!
Die IHK-Aus- und -Weiterbildungsprüfungen sind auf ehrenamtlich Prüfende aus den Unternehmen angewiesen. Doch viele Unternehmen tun sich schwer damit, Mitarbeitende als potenzielle Prüferinnen und Prüfer zu benennen, sie für die Prüfungstermine freizustellen und für diese Tage womöglich noch das Gehalt zu zahlen. Typische Einwände lauten: Das ist doch deren Privatvergnügen. Es bleibt zu viel Arbeit liegen, das müssen dann die Kolleginnen und Kollegen auffangen. Da könnte ja jeder kommen, der sich ehrenamtlich im Kaninchenzüchterverein engagiert, und um bezahlte Freistellung bitten. Das führt nur zu Neid unter den Kolleginnen und Kollegen …
Wir haben bei einem Unternehmen nachgefragt, das solche Bedenken nicht teilt. Stattdessen entsendet der Technologiekonzern Rohde & Schwarz seit vielen Jahren Ausbilderinnen und Ausbilder als Prüfende für die Ausbildungsprüfungen beispielsweise bei der IHK für München und Oberbayern. Für ihre ehrenamtliche Tätigkeit müssen die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keinen eigenen Urlaub nehmen und auch nicht auf Gehalt verzichten. Warum machen die das und was bringt es dem Unternehmen?
Herr Hitzl, Sie sind Ausbildungsleiter bei Rohde & Schwarz und stellen einige Ihrer Ausbilderinnen und Ausbilder für ihre Prüfertätigkeit frei?
Rudolf Hitzl: In der Tat. Wir haben im Unternehmen einen Rahmen von bis zu zehn Tagen im Jahr festgelegt, die einige unserer Vollzeitausbildenden bei Fortzahlung ihres Gehalts als ehrenamtliche Prüferinnen und Prüfer bei den IHKs tätig sein sollen.
Sollen?
Rudolf Hitzl: Richtig, denn wir verstehen die Tätigkeit als Prüferin oder Prüfer als integralen Bestandteil unserer Ausbildungsstrategie. Sehen Sie, wir haben einen sehr hohen Anspruch an die Qualität der Ausbildung. Das beginnt natürlich bei uns selbst im Unternehmen, es setzt sich durch eine enge Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern an den Berufsschulen fort und schließt folgerichtig auch das Engagement für qualitativ hochwertige Prüfungen mit ein. Wenn wir qualifizierte Prüfungen erwarten, die eine hohe Zuverlässigkeit der fachlichen und persönlichen Bewertung ergeben sollen, dann geht das nur mit qualifizierten Prüferinnen und Prüfern. Wir wollen als Unternehmen die Verantwortung für die Prüfungsqualität nicht auf andere „abwälzen“. Wer Qualität in den Prüfungen fordert, muss sich auch selbst darum kümmern und das tun wir, indem wir Kolleginnen und Kollegen aus der Ausbildung als Prüferinnen bzw. Prüfer an die IHK entsenden.
Herr Gsinn, Sie arbeiten in Vollzeit als Ausbilder bei Rohde & Schwarz und wurden im Einvernehmen mit Ihrem Arbeitgeber von der IHK als IHK-Prüfer benannt. Was bringt es Ihnen, diese zusätzliche Aufgabe zu übernehmen?
Tobias Gsinn: Von meiner Tätigkeit als IHK-Prüfer profitiere nicht nur ich, sondern es profitiert, wie Herr Hitzl schon erläutert hat, unsere Ausbildung insgesamt und es profitieren vor allem unsere Auszubildenden. Da ich selbst als Prüfer tätig bin, weiß ich, wie es im Fachgespräch und in der praktischen Prüfung läuft und worauf es für die Bewertung ankommt. Das bedeutet, dass ich unsere Auszubildenden viel besser auf diesen wichtigen Meilenstein für ihren Berufseinstieg vorbereiten kann. Ausbildung hat sehr viel mit Orientierung und Führung zu tun. Meine Auszubildenden vertrauen mir mehr, weil ich wirklich weiß, wovon ich mit Blick auf die Prüfung rede. Meine Prüfertätigkeit gibt ihnen Sicherheit. Die ist für die Beziehung zwischen Auszubildenden und Ausbildenden sehr wichtig und ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Ausbildung.
Lassen Sie mich hierzu noch ergänzen, dass sich diese „verbesserte Führung und Sicherheit“ auch langfristig auswirkt. Die Jugendlichen erleben hier konkret, wie sich das Unternehmen darum kümmert, dass sie Erfolg haben. Das stärkt enorm die Bindung an den Betrieb gerade über die Ausbildung hinaus, wenn es darum geht, ob die Fachkräfte nach ihrem Top-Abschluss bei uns bleiben. Wir können das zum Beispiel bei denjenigen klar belegen, die nach ihrer Ausbildung noch ein Studium anhängen. Die große Mehrheit von ihnen können wir als Werksstudenten im Unternehmen halten und später auch als Nachwuchsfachkräfte einstellen. Insofern ist alles, was gut für die Auszubildenden ist, eine gute Investition in den Nachschub an Fachkräften für unser Unternehmen.
Rudolf Hitzl: Ich greife diesen Zusammenhang gerne auf, denn genau das ist der Nachhaltigkeitsansatz, den wir im Unternehmen insgesamt verfolgen. Für uns stellt die Ausbildung einen sehr wichtigen Faktor nachhaltigen Handelns dar. Warum? Weil sie im Nachhaltigkeitsdreieck von ökonomischer, ökologischer und sozialer Verantwortung eine zentrale Position einnimmt. Indem wir uns für die Ausbildungsqualität einsetzen, wozu konsequenterweise auch das Engagement für die Prüfungsqualität zählt, wird Nachhaltigkeit in der Praxis real. Wir nehmen unsere gesellschaftliche Verantwortung wahr und führen Jugendliche ins Berufsleben. Das tun wir jedoch nicht irgendwie, sondern so, dass sie bei uns erstklassig qualifiziert sind, um selbst zunehmend mehr Verantwortung für ihre Aufgaben bei uns im Unternehmen, für die Umweltaspekte und für ihre Kolleginnen und Kollegen, das heißt für ihr soziales Umfeld, übernehmen zu können. Die Prüfertätigkeit bedeutet Qualitätssicherung für unsere Ausbildung, Ausbildungsqualität ist ein Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie, Nachhaltigkeit ist Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit und erst durch Zukunftsfähigkeit entsteht unser Unternehmenserfolg – so greifen die Argumente ineinander.
Okay, das ist ein spannender Bogen von der Entsendung der Prüfenden zur Nachhaltigkeitsstrategie von Rohde & Schwarz. Für manche kleinere Unternehmen als Ihr Konzern könnte das vielleicht etwas weit gespannt sein. Aber warum sollten auch kleine und mittlere Unternehmen Mitarbeitende als Prüferinnen bzw. Prüfer benennen und idealerweise bezahlt freistellen?
Tobias Gsinn: Ich gebe Ihnen einfach ein paar Eindrücke davon, was die Prüfertätigkeit praktisch an Vorteilen mit sich bringt. Zunächst einmal komme ich regelmäßig in Kontakt mit anderen Prüferinnen und Prüfern aus anderen Unternehmen. Dabei entsteht ein sehr wertvoller Ideenaustausch: Wie bilden die anderen aus? Wie machen die es mit der digitalen Ausbildung? Was tun die, um ihre Bewerberzahlen hochzuhalten? Dieser Austausch ist ein Gewinn für mich als Ausbilder und für alle meine Kolleginnen und Kollegen, die an der Ausbildung mitwirken. Mittlerweile ist hier ein eigenes Netzwerk entstanden, durch das ich immer wieder konkrete Ideen erhalte, wie wir ein Detail unserer Ausbildung oder unserer Vorbereitung auf die Prüfung verbessern können.
Sehr wertvoll ist auch, zu sehen, wie andere Prüferinnen und Prüfer die Auszubildenden in der Prüfung führen. Auch dadurch lerne und profitiere ich als Ausbilder in meinem Ausbildungsalltag und diese Erfahrungen gebe ich gerne an meine Kolleginnen und Kollegen weiter. So profitieren auch die immer wieder von Ideen, wie man etwas auch anders machen kann. Nebenbei bemerkt ist jeder Prüfungstag auch so etwas wie ein Benchmarking, wie sich unsere Auszubildenden im Vergleich so schlagen und wo wir als Ausbildungsbetrieb im Vergleich zu anderen stehen. Das schadet auf keinen Fall.
Und noch ein letzter Punkt: Ich habe selbst bei Rohde & Schwarz gelernt, dann habe ich mein Abitur nachgemacht und ein duales Studium wieder bei Rohde & Schwarz absolviert. Nach ein paar Jahren, als die Stelle für den Ausbilder in Vollzeit ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben, weil die Ausbildung und die Prüfungen für mich wirklich positive Erfahrungen waren, die ich jetzt gerne an junge Menschen weitergeben möchte. Das heißt an meinem Beispiel: Durch gute Ausbildung entstehen auch „Fans der Ausbildung“, die andere auf den Geschmack bringen können. Anders gesagt: Jeder erfolgreiche Azubi ist in seinem Freundes- und Bekanntenkreis und über die sozialen Medien ein wertvoller Multiplikator für die Ausbildung bei Rohde & Schwarz.
Herr Gsinn, Herr Hitzl, ich fasse einmal ganz knapp zusammen:
- Sicherung und Steigerung der Ausbildungsqualität,
- Sicherung der Prüfungsvalidität und -qualität,
- Steigerung der Ausbildungserfolge,
- Verbesserung der Bindung der Auszubildenden ans Unternehmen,
- wichtiger Beitrag zu einer nachhaltigen Personalentwicklung und Unternehmensführung,
- wirkungsvoller Beitrag zum viralen Ausbildungsmarketing,
so hatte ich das Ehrenamt der Prüferinnen und Prüfer aus Unternehmenssicht ehrlich gesagt noch nicht gesehen. Dass sich die bezahlte Freistellung für Unternehmen auszahlt, ist wohl kaum handfester zu belegen. Herzlichen Dank für Ihre inspirierende Sicht auf diese Frage, wir hoffen, dass viele weitere Unternehmen auf den Geschmack kommen.
Zu den Interviewpartnern
Rudolf Hitzl (Bild links): Leiter Berufsausbildung und Duales Studium
Tobias Gsinn (Bild rechts): Betreuung Duales Studium und Ausbildung Elektrotechnik
Zum Zeitpunkt des Interviews bildet Tobias Gsinn insgesamt 11 Jugendliche zu Elektronikerinnen/ Elektronikern aus und betreut 24 dual Studierende für den Abschluss in Elektrotechnik.
Über das Unternehmen
Rohde & Schwarz
Seit über 85 Jahren entwickelt, produziert und vertreibt das Privatunternehmen eine breite Palette elektronischer Investitionsgüter in den Märkten Messtechnik, Sichere Kommunikation, Netzwerke & Cybersicherheit sowie Broadcast & Media. Zu den etablierten Geschäftsfeldern investiert der Technologiekonzern in Zukunftstechnologien wie Artificial Intelligence, Industrial Internet of Things (IIoT), 6G, Cloud- und Quantentechnologie.
Zum 30. Juni 2021 beschäftigte das Unternehmen rund 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon etwa 7.700 in Deutschland. Über 360 Auszubildende und dual Studierende bereiten sich an verschiedenen Rohde & Schwarz-Standorten in Deutschland auf ihren Berufseinstieg vor. Weitere Informationen https://www.rohde-schwarz.com
Prüferin oder Prüfer werden?
Sprechen Sie am besten einfach die Ausbildungsberaterinnen und Ausbildungsberatern Ihrer IHK an. Diese vermitteln Ihnen gerne den Kontakt zu den je nach Berufsabschluss zuständigen IHK-Prüfungsorganisatorinnen und -Organisatoren.
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