Keine einfache Entscheidung

PraxisInterviews

Unternehmen lassen sich heute viel einfallen, um neue Azubis zu gewinnen. Doch für den Erfolg der Ausbildung spielt die Person der verantwortlichen Ausbilderin bzw. des verantwortlichen Ausbilders eine viel wichtigere Rolle als beispielsweise die Ausstattung mit einem Tablet, ein freier Freitagnachmittag oder ein Gehalt über dem Durchschnitt. Branchenübergreifend wird deshalb die Frage immer wichtiger, welche Kriterien für die Besetzung einer neben- oder hauptberuflichen Ausbilderstelle eigentlich anzusetzen sind. Reicht das Vorliegen des obligatorischen Ausbilderscheins? Wohl kaum. Vielleicht sind sogar Kandidatinnen bzw. Kandidaten in Betracht zu ziehen, die die AEVO-Qualifizierung erst noch absolvieren müssen? Denn tatsächlich geht es vor allem um genau den Aspekt, den die Ausbildereignungsverordnung (AEVO) zwar voraussetzt, den die AEVO-Prüfung aber gar nicht validieren kann: persönliche Eignung.
 

Wir sprachen mit Michael von Hertell, der für seinen Einstieg ins Berufsleben selbst eine Ausbildung absolvierte, später als Ausbilder arbeitete und heute als Leiter Berufsausbildung bei der REHAU Industries SE & Co. KG auch die finalen Personalentscheidungen in der Ausbildung verantwortet.

Herr von Hertell, die Firma REHAU ist durchaus als größeres Unternehmen zu sehen. Für wie viele Ausbilderinnen und Ausbilder sind sich verantwortlich?

Michael von Hertell: In Deutschland sind es etwa 13 Vollzeit-Ausbilderinnen und -Ausbilder. Hinzu kommen noch drei weitere Teammitglieder, die in Stabsstellen arbeiten. Wir entwickeln und realisieren zum Beispiel eigene digitale Lernmodule für unsere verschiedenen Ausbildungen, deshalb arbeiten hier weitere Ausbilderinnen und Ausbilder mit.

Nun haben Sie sicher schon mehrere Male neue Ausbilderinnen und Ausbilder auswählen müssen. Worauf kommt es dabei Ihrer Meinung nach an?

Ich habe ein detailliertes Kompetenzprofil erstellt, bei dem ich neben der fachlichen Kompetenz im jeweiligen Ausbildungsberuf besonderen Wert auf die sozialen Skills lege. Zukünftige Ausbilderinnen und Ausbilder müssen bei uns über zielgruppengerechte Kommunikationskompetenzen verfügen. Sie brauchen ein ausgeprägtes Gespür für die Wünsche und manchmal auch Nöte unserer Dual-Studierenden und Auszubildenden, ich denke das entscheidende Stichwort heißt Empathie. 

Wie überprüfen Sie, ob jemand Empathie mitbringt?

Ich versuche zum Beispiel herauszufinden, wie gut eine Kandidatin oder ein Kandidat im Unternehmen und auch außerhalb sozial integriert ist. Engagiert sich jemand in einem Verein oder hat jemand ein Ehrenamt inne? Das Thema Ehrenamt ist für mich auch deshalb wichtig, weil wir von allen unseren Ausbilderinnen und Ausbildern erwarten, dass sie sich als ehrenamtlich Prüfende für die Ausbildung einsetzen. Wir wollen unsere Auszubildenden von der Einstellung bis zur Prüfung begleiten, deshalb müssen die Ausbildenden auch selbst wissen, was Prüfung bedeutet, welches Niveau hier erwartet wird und wie sie abläuft. Nur so können sie unsere Auszubildenden auch auf den Punkt vorbereiten. Im Grunde trifft das ja auch den Purpose, ich meine die originäre Bestimmung des Jobs, an der Entwicklung eines jungen Menschen aktiv beteiligt zu sein und sich bewusst der Verantwortung zu stellen, diese maßgeblich zu prägen. Hat jemand die Leidenschaft, für „seine“ Azubis da zu sein – auch außerhalb der Arbeitszeit? Auch das gehört zu Empathie: Die Jugendlichen schreiben um 21.00 Uhr spontan eine WhatsApp-Message, weil sie eine Frage haben oder Zuspruch brauchen oder einfach, weil sie etwas Besonderes erlebt haben und das teilen wollen. Darauf sollte eine Ausbilderin oder ein Ausbilder von sich aus, ohne dass es dafür eine explizite Vorgabe gibt, zeitnah reagieren und die Rückmeldung nicht auf die lange Bank schieben.  

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für uns, dass wir Ausbildung nicht mehr als Unterricht oder Unterweisung, sondern als Lernprozessbegleitung verstehen. Der geänderte AEVO-Rahmenplan stärkt diesen Gedanken erfreulicherweise nun auch in der AEVO-Qualifizierung. (HINWEIS: mehr Informationen zur AEVO-Rahmenplannovellierung lesen Sie hier im Lernreich) Das bedeutet, wir schauen uns an, inwieweit eine Bewerberin oder ein Bewerber sich selbst weniger als Lehrender, sondern eher als Coach versteht oder sich zumindest mit einem solchen Selbstverständnis sehr gut identifizieren kann. 

Die Lernprozessbegleitung spiegelt ein Kernthema unserer Unternehmensstrategie, nämlich das selbstgesteuerte Lernen, das wir für alle unsere Beschäftigten fördern und fordern. Das gilt selbstverständlich auch für die Ausbilderinnen und Ausbilder. Wie steht es also bei einer Kandidatin oder einem Kandidaten um die eigene Selbstlernkompetenz? Ich frage im Gespräch zum Beispiel einfach einmal: „Was hast Du als letztes gelernt?“ Denn nur wer selbst Lernbegeisterung mitbringt, kann diese auch anderen vermitteln. Wir brauchen in der Ausbildung Menschen, die selbst gerne lernen, ob es sich dabei um das Thema KI handelt, um ein Training in Gesprächsführung oder ein fachliches Thema im jeweiligen Beruf. REHAU stellt ganz viele Angebote zur Verfügung und ich möchte im Bewerbungsprozess herausfinden, ob und wie jemand diese für uns unverzichtbaren „Future-Skills“ mitträgt und selbst lebt.

Wie schaffen Sie es, diese Aspekte bei mehreren Kandidaten und im Nachgang mehrerer Auswahlschritte später zu vergleichen?

Ehrlich gesagt sollte man das aus meiner Sicht pragmatisch handhaben. Wir haben ein differenziertes Kompetenzprofil erarbeitet und geben im Nachgang eines jeden Gesprächs Punkte auf einer Skala von eins bis zehn. Auf der Liste stehen ganz unterschiedliche Skills, zum Beispiel Durchsetzungsfähigkeit, Entscheidungsstärke, Kommunikationskompetenz, Kritikfähigkeit, Teamfähigkeit, natürlich die fachliche Kompetenz für den jeweiligen Ausbildungsberuf, soziales Engagement, Fähigkeit zu motivieren, Leidenschaft für die Ausbildung. 

Aber wenn jemand über noch nicht über viel Berufserfahrung verfügt, wird es wohl bei einigen Punkten zwangsläufig auch nicht so hohe Punkte geben? 

Entscheidend ist, ob wir es der Person zutrauen, vielleicht auch schon sehr früh in die Ausbildung einzusteigen. Dazu muss man wissen, dass wir von allen unseren Ausbilderinnen und Ausbildern erwarten, dass sie nebenberuflich die Weiterbildung zum Geprüften Aus- und Weiterbildungspädagogen absolvieren, die wir als Unternehmen aber auch finanzieren. Wer dann noch weitergehen möchte kann anschließend sogar die Weiterbildung zum Geprüften Berufspädagogen dranhängen. Damit meine ich: Wir schauen auf das Gesamtpaket an Voraussetzungen und Motiven, die jemand für seine Tätigkeit in der Ausbildung mitbringt. Berufserfahrung ist sicher wichtig, aber man kann nicht einfach sagen: Mehr ist besser. Wir versuchen beispielsweise auch die Affinität zur Digitalisierung einzuschätzen: „Was benutzen Sie für Devices und für welche Zwecke setzen Sie sie ein?“ Bei der Frage sind manche Jüngere den Berufserfahrenen ein gutes Stück voraus, sie sind experimentierfreudiger und näher dran an den Jugendlichen und ihrem Verständnis eines alltäglichen Gebrauchs der Technik. 

Welche Empfehlungen geben Sie anderen Personalverantwortlichen, die künftige Ausbilderinnen und Ausbilder für ihre Unternehmen auswählen? 

Wie jede Personalentscheidung muss man sich immer wieder klar darüber sein: Es bedeutet Arbeit, ein klares und differenziertes Anforderungsprofil zu erstellen und dieses auch mit den weiteren Mitarbeitenden abzustimmen, die später die engsten Kolleginnen und Kollegen sein werden. Ein solches Profil ist außerdem nicht in Stein gemeißelt, es muss regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden. Man muss also dazu bereit sein, alte Kriterien über Bord zu werfen und neue hinzuzunehmen. 

Denke ich an Ausbilderinnen und Ausbilder, dann weiß ich, dass diese Arbeit sich wirklich lohnt, vielleicht sogar noch mehr als bei manch anderen Stellen. Bei unseren zukünftigen Ausbilderinnen und Ausbildern geht es immer auch um die Zukunft unserer Fachkräfte im Unternehmen. Diese Persönlichkeiten repräsentieren das Unternehmen nach außen, zum Beispiel an den Schulen oder auf Ausbildungsmessen, sie prägen die Zukunft des Unternehmens und sie bauen die grundlegende Bindung unserer Nachwuchskräfte an REHAU auf. Wir sollten die Vorbereitung, das Auswahlverfahren und die Entscheidung also auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen. 

Was sagen Sie einem Kandidaten, der für Sie eine gute Wahl wäre, der aber selbst unsicher ist, ob die Ausbildung das richtige für ihn bzw. für sie ist?

Wenn sich jemand bewirbt, muss ich davon ausgehen, dass er oder sie sich das überlegt hat. Was aber der Punkt ist, um den es bei Ihrer Frage geht: Bei der Beschreibung der Position „Ausbilderin/Ausbilder“ zum Beispiel in der internen Stellenausschreibung oder auch in Personalentwicklungsgesprächen halte ich es für sehr wichtig, ganz deutlich hervorzuheben, dass die Tätigkeit auch eine besondere Chance für weitere Karriereschritte bietet. Ausbildung ist alles andere als eine Endstation. Sie ist vielmehr ein ausgezeichneter Zwischenschritt für spätere Aufgaben mit viel Personalverantwortung, zum Beispiel als Gruppen- oder Abteilungsleiter. Ich kann Unternehmen nicht verstehen, die die Ausbildung wie ein „Abstellgleis“ handhaben, auf dem sie ältere Beschäftigte „parken“, weil die scheinbar am besten wissen, wie es in der Praxis läuft. Das wird weder der älteren Person gerecht noch den Auszubildenden und erst recht nicht der zukunftsentscheidenden Bedeutung der Ausbildung. 

Noch einmal: Wir brauchen in der Ausbildung Menschen mit großer Empathie und Freude am Umgang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie einer ausgeprägten Lernbegeisterung – wenn das vorhanden ist, erwartet sie eine immer wieder spannende, abwechslungsreiche und persönlich sehr erfüllende Aufgabe mit elementarer Bedeutung für das gesamte Unternehmen. 

Herr von Hertell, herzlichen Dank für die klaren Worte und die Verdeutlichung, wie anspruchsvoll ein Auswahlverfahren zur Besetzung einer Ausbilderstelle heute ist. 


Zur Person
Michael von Hertel

  • Jahrgang 1976
  • Ausbildung zum Werkzeugmechaniker
  • Berufseinstieg als Werkzeugmechaniker
  • 1998 Qualifizierung zum Ausbilder nach AEVO 
  • Weiterbildung zum Feinmechanikermeister
  • Weiterbildung zum staatlich geprüften Kunststofftechniker 
  • Beschäftigung als Verfahrenstechniker für Fenstersysteme
  • Leiter der technischen Ausbildung REHAU Deutschland
  • Leiter Berufsausbildung
  • Seit 2013 Head of Vocational Education & External Continuing and Training

Darüber hinaus:

  • nebenberufliche Tätigkeit als Dozent, (Online-)Trainer und Berater im Bereich der Berufsausbildung
  • Mitglied im Bildungsausschuss der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK
  • alternierender Vorsitzender Berufsbildungsausschuss IHK für Oberfranken Bayreuth
  • Prüfungsausschuss-Vorsitzender bei der IHK für Oberfranken Bayreuth

 

Zum Unternehmen
Die REHAU Industries SE & Co. KG zählt zu den führenden Herstellern für polymerbasierte Lösungen im Bau-, Automobil- und Industriebereich mit weltweit mehr als 20.000 Mitarbeitern.

Im kaufmännischen Bereich bietet das Unternehmen aktuell sechs Ausbildungen, im technischen Bereich neun Ausbildungen. Hinzu kommen sechs duale Studiengänge. 
Detaillierte Informationen zum Unternehmen: REHAU
 

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