Diversity in der Ausbildung: Lohnt sich!

PraxisArtikel

Geeignete Jugendliche für die Ausbildung zu finden, wird immer schwerer. Ein professionelles Ausbildungsmarketing allein hilft aber nicht: Nötig ist auch ein neues Verständnis von „geeignet“. Warum? 

Wie in den Jahren 2018 und 2019 lag laut DIHK-Ausbildungsumfrage auch im Corona-Jahr 2020 der Hauptgrund für die Nichtbesetzung von Ausbildungsplätzen aus Unternehmenssicht darin, dass Bewerberinnen und Bewerber entweder ganz fehlten oder als nicht geeignet erschienen (1). Was das Fehlen von Bewerbungen angeht, können Unternehmen viel erreichen, indem sie ihr Ausbildungsmarketing professionalisieren und zum Beispiel an Schulen Präsenz zeigen, in den sozialen Medien auf ihre Ausbildungsangebote aufmerksam machen, ihre Ausbildung mit Mehrwerten attraktiver gestalten usw. (Tipps für ein professionelles Ausbildungsmarketing finden Sie hier im Lernreich).

Doch wie sieht es mit der „Eignung“ aus?

Die DIHK-Ausbildungsumfrage 2020 zeichnet im gesamten Bundesgebiet ein ähnliches Bild, hier exemplarisch vorgestellt anhand der Zahlen der IHK Nürnberg für Mittelfranken (2): 28,8 Prozent der Unternehmen gaben an, dass sie eine angebotene Ausbildungsstelle nicht besetzen konnten, weil es keine Bewerbungen gab. Doch für 34,1 Prozent war der eigentlich entscheidende Grund, dass die „Bewerberinnen und Bewerber nicht geeignet“ erschienen.
Im Gespräch mit Ausbilderinnen und Ausbildern zeigt sich schnell, was das konkret heißt. Ihre Eindrücke finden sich auch in den genannten Ausbildungsumfragen wieder:

  • falsche Vorstellungen von der Ausbildung
  • kaum erkennbare Motivation
  • zu geringes Interesse am Ausbildungsberuf
  • zu niedrige Sozialkompetenzen
  • Fehlen von Kritikfähigkeit
  • kaum vorhandene Höflichkeit und Umgangsformen
  • mitunter schlechte Deutschkenntnisse und
  • Mängel bei den mathematischen sowie technischen Grundkenntnissen

Wie ist dieses Bild einzuschätzen?

Zunächst sind drei große Entwicklungen zu berücksichtigen.

  1. Die Zahl junger Menschen nimmt in Deutschland seit Jahren ab (demografischer Wandel).
  2. Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund nimmt stetig zu.
  3. Der Trend zum Abitur und im nächsten Schritt zum Studium hält ungebrochen an.

Trotz intensiver Bemühungen der Politik und der Wirtschaftsverbände entscheiden sich die Jugendlichen, die die Wahl haben, mehrheitlich für die akademische Bildung. Überspitzt formuliert sind es somit vor allem die „Übriggebliebenen“, die sich auf eine Ausbildungsstelle bewerben, weil für sie „nur“ eine Ausbildung infrage kommt. Darunter finden sich verstärkt Kinder aus fremdsprachigen Haushalten. Laut einer Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) (3) betrifft das 17,7 Prozent aller Minderjährigen in Deutschland. Bei knapp der Hälfte dieser Familien hat kein Elternteil einen berufsqualifizierenden Abschluss, sodass diese Kinder bei der Entwicklung ihrer Kompetenzen nahezu allein dastehen. Für diese Jugendlichen trifft die Ausgangslage des Abgehängt-Seins somit einen wichtigen Nerv ihrer Selbstwahrnehmung: „Meine Chancen stehen sowieso schlecht.“

Bei den Unternehmen weist die bewusst provokative Formulierung darauf hin, dass die Eignungsfrage heute offensichtlich einen veränderten Maßstab erfordert. Sind rund 34 Prozent der Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung interessieren, tatsächlich ungeeignet? Oder passen die Erwartungen und Herangehensweisen der Unternehmen vielleicht nicht mehr zu dieser immer kleiner werdenden Gruppe?

Passen Ausbilder und heutige Jugendliche zusammen?

Ein Hinweis, dass es nicht nur an den Jugendlichen liegen wird, ergibt sich bei der Analyse der Altersstruktur der Ausbildungsverantwortlichen. Im Berichtsjahr 2019 zählten beispielsweise nur 3,9 Prozent des männlichen und 9,5 Prozent des weiblichen Ausbildungspersonals zur Altersgruppe der bis 29-Jährigen. 53,6 Prozent der Ausbilder bzw. 39,7 Prozent der Ausbilderinnen waren 50 Jahre alt oder älter (4). Mit anderen Worten: Die oben genannten Mängel werden zu rund 50 Prozent von Ausbilderinnen und Ausbildern der Jahrgänge vor bzw. bis 1970 beschrieben. Die Kritik an der Eignung der Bewerberinnen und Bewerber liegt somit vermutlich zu einem nicht unwesentlichen Teil auch in den Schwierigkeiten beim Generationendialog begründet.

Wie kann eine Lösung erreicht werden?

Um das gegenseitige Verständnis zu verbessern, bietet das Konzept des Diversity-Managements einen guten Lösungsweg. Die Zusammenarbeit gemischter Teams – und das gilt auch für die Ausbildung – ist produktiver als in homogenen Teams. Konkret bedeutet das:

  • Gemischte Teams auch und gerade bei den Ausbildungsverantwortlichen
    Die große Erfahrung älterer Ausbilderinnen und Ausbilder ist unverzichtbar, um die Ausbildungsqualität sicherzustellen und die unternehmensspezifischen Besonderheiten gezielt in die Ausbildung zu integrieren. Für den Akquise- bzw. Bewerbungsprozess sowie die Betreuung während des ersten Lehrjahres lohnt es sich jedoch, auch junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, idealerweise mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln, mit ins Ausbildungsteam aufzunehmen. Sie verstehen die Kommunikationsgepflogenheiten der heutigen Jugendlichen besser und es fällt ihnen leichter, mit ihnen „auf eine Wellenlänge“ zu kommen. Mitunter erkennen sie schneller, wenn beispielsweise unhöfliches Verhalten mehr aus Unbedarftheit, Unsicherheit oder Unwissenheit entsteht als aus einer Ablehnung des Gesprächspartners.

    Und auch umgekehrt tun sich Jugendliche bei jungen Erwachsenen oft leichter, sich zu öffnen, sich zu präsentieren, Arbeitsaufträge anzunehmen oder auch aktiv Fragen zu stellen, wenn sie Dinge nicht verstanden haben.
     
  • Bunte Mischung unterschiedlicher Azubis in einem Ausbildungsjahrgang
    Wer bei der Rekrutierung seiner Auszubildenden bewusst auf eine ausgewogene Mischung von Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund und sozialer sowie kultureller Herkunft achtet, kann die unterschiedlichen Stärken der Teammitglieder aktiv nutzen. Untereinander können sich die Jugendlichen als Team gegenseitig unterstützen und oft auch ganz anders anspornen, als es der Ausbilderin bzw. dem Ausbilder möglich ist. Die verschiedenen Lebenshintergründe und Erfahrungen, die jede und jeder Einzelne in die Ausbildung einbringt, erweitern den Horizont des gesamten Teams. So lernen die zukünftigen Fachkräfte schon während ihrer Ausbildung, Klischees zu überwinden, ihre Selbstwahrnehmung zu verändern und gemeinsam über festgefahrene Denkmuster und Rollenbilder hinauszuwachsen. Dies ist ein wichtiger Grundstein verantwortungsbewusster und leistungsbereiter Fachkräfte – Ausbildungsziel „Persönlichkeitsentwicklung“ erreicht!

Sicher brauchen solche heterogenen Teams zu Beginn mehr Zeit und ggf. spezielle Maßnahmen für die Team-Findungsphase sowie mehr Unterstützung und Orientierung, idealerweise durch ein divers zusammengesetztes Ausbildungsteam (Frauen, Männer, jung, alt, mit und ohne Migrationshintergrund). Doch der Mehraufwand lohnt sich: So setzt beispielsweise Maik Leipold, einer von Bayerns besten Ausbildern, seit Jahren auf den Ansatz heterogener Azubi-Teams. Der Erfolg gibt ihm recht, bereits mehrfach führte er seine Auszubildenden zum Titel „Deutschlands beste(r) Auszubildende im Beruf Holzmechaniker“. Die Vielfalt der Stärken ist der Schlüssel, nicht das individuelle Defizit, und so gibt er unterschiedlichsten Jugendlichen eine Chance: Ein schlechtes Zeugnis oder ein auf den ersten Blick nicht souveränes Auftreten sind für ihn keine entscheidenden Ablehnungsgründe (ein Interview mit Maik Leipold finden Sie hier im Lernreich).

Zusammengefasst

Die Diversität des Ausbildungspersonals und der für die Ausbildung ausgewählten Jugendlichen sind ein wichtiger Ansatz, um Ausbildungsstellen besetzen und individuelle Anfangsschwierigkeiten im Team schneller überwinden zu können. Unternehmen, die sich von der Geschäftsleitung über die Führungskräfte bis zur Ausbildung für ein aktives Diversity-Management entscheiden, profitieren von einem verbesserten Nachschub an Fachkräften, einer höheren Loyalität ihrer Beschäftigten, größerer Innovationsoffenheit und interkultureller Kompetenz – beim Wandel unserer gesellschaftlichen Strukturen und der zunehmenden Internationalisierung der Geschäftsprozesse sind das klare Wettbewerbsvorteile, für die es sich lohnt, neue Wege zu gehen.

Weiterführender Artikel: Mehr Vielfalt – mehr Zukunft

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Quellen
(1) DIHK-Ausbildungsumfrage 2020 

(2) Detailergebnisse der Herbstumfrage zur Ausbildungssituation für die Region Mittelfranken 

(3) Institut der Deutschen Wirtschaft (IW-Trends Nr. 1, 2021) 

(4) foraus.de, Zahlen zum Ausbildungspersonal