Kombimodell: Könnte gerne Schule machen.

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So sieht’s in vielen Branchen aus: Unternehmen möchten gerne ausbilden, aber: Es bewerben sich nur noch wenige Jugendliche, wenn überhaupt. Und bei den wenigen Bewerberinnen und Bewerbern taucht zudem die Frage nach der Ausbildungseignung auf: Vor allem Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, mit dem Hörverstehen, der eigenen Ausdrucksfähigkeit und dem Schreiben, führen in der Folge zu weiteren Problemen. Denn wer den Unterricht in der Schule nur mit großer Mühe versteht, kann sich kaum durch gute Noten in Deutsch, Buchhaltung, Materialkunde usw. auszeichnen.

Die Rede ist hier aber nicht allein von Geflüchteten oder neuzugewanderten Jugendlichen. Ausbilderinnen und Ausbilder beklagen diese Schwierigkeiten ebenso bei Jugendlichen, die in sogenannten bildungsfernen Milieus sozialisiert wurden oder aus anderen Gründen einfach unter einer Lernschwäche leiden.

Jetzt aber die gute Nachricht

In der beruflichen Praxis sieht es bei vielen dieser Jugendlichen oft ganz anders aus! Ausbildende berichten oft von Auszubildenden, die sich trotz ihrer Schwierigkeiten an der Berufsschule mit Herz und Hand in ihre betrieblichen Aufgaben hineinfuchsen, die sehr dankbar sind, dass ihnen jemand eine Chance gibt, und die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach Kräften unterstützt werden.

Das Kombimodell schafft eine Lösung

Natürlich gibt es bereits eine breite Palette von Angeboten für Nachhilfe, ausbildungsbegleitenden Sprachkursen usw. Allerdings, das haben Befragungen der Jugendlichen, der Ausbilderinnen und Ausbilder sowie der Lehrenden an den Berufsschulen gezeigt: Die Jugendlichen brauchen einfach mehr Zeit, um die Herausforderung Berufsschule bewältigen zu können. Zudem: Ohne die hier vermittelten Kenntnisse und Kompetenzen ist auch in der betrieblichen Praxis schnell die Belastungsgrenze der Ausbilderinnen und Ausbilder bzw. der weiteren an der Ausbildung Mitwirkenden erreicht.

Genau das spiegelt sich in der Praxis: Die Doppelbelastung der regulären Ausbildung plus Förderunterricht führt leider gerade in der wichtigen Anfangsphase der Ausbildung oft zu Überforderung der Auszubildenden und dadurch zu Ausbildungsabbrüchen. Und auch wenn Defizite anfangs noch mit viel persönlichem Einsatz behoben werden können, steigen mittelfristig die Frustration und Selbstzweifel: Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um die Ausbildung mit Begeisterung und Erfolg abzuschließen.

Im Kern des Kombimodells geht es deshalb darum, den Jugendlichen mehr Zeit für ihre Ausbildung zu verschaffen und diese Zeit zusammen mit der Berufsschule für ein angemesseneres Lerntempo und individuelle Fördermaßnahmen zu nutzen.

Vorreiter für den Ansatz ist die IHK zu Coburg. Sie hat vor wenigen Jahren in Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen aus der Metallbranche und einer Berufsschule das Konzept „3+1“ erprobt, um Geflüchtete in die Ausbildung zu integrieren. Die Idee: Die Ausbildung wird um ein Jahr gestreckt, um in dieser Zeit die erforderlichen Deutschkenntnisse aufzubauen. In München wurden die sehr positiven Erfahrungen aufgegriffen und zum Kombimodell weiterentwickelt. Der erste Pilotdurchlauf erfolgte in Zusammenarbeit mit Betrieben aus dem Handel und speziell für die Ausbildung zum Verkäufer bzw. zur Verkäuferin.

Wie funktioniert das Kombimodell?

  • Mehrere Unternehmen, die Auszubildende mit demselben Berufsabschluss ausbilden, tun sich, koordiniert durch die IHK, zusammen.
  • Mit ihren zukünftigen Auszubildenden für diesen Beruf vereinbaren sie eine Ausbildung als Teilzeitausbildung, das heißt: Die Ausbildung verlängert sich um mindestens ein halbes Jahr.
  • Gemeinsam mit einer Berufsschule, die das Kombimodell unterstützt, wird eine eigene Klasse gebildet.
  • Für diese Klasse wird der Lehrplan neu strukturiert, sodass die Unterrichtsinhalte mit mehr Zeit gelernt werden können und zudem ausreichend Nachhilfe und Förderunterricht gegeben werden kann.
  • Die Ausbilderinnen und Ausbilder profitieren davon, dass die Jugendlichen ihre Sprachkompetenzen kontinuierlich verbessern und gezielt gefördert werden, die Hauptaufgaben und -ziele der betrieblichen Ausbildung rücken wieder ins Zentrum.  
  • Jugendliche, die sich besonders gut entwickeln, können auf Wunsch und in Abstimmung mit ihrem Ausbildungsbetrieb die Prüfung auch früher ablegen und selbstverständlich auch den Abschluss zum Kaufmann/zur Kauffrau im Einzelhandel anhängen.

 

„In der Kombimodell-Klasse haben wir viel mehr Zeit, um den Stoff zu wiederholen, Fragen zu stellen und Fachbegriffe zu üben, das hilft sehr. Meine Noten waren noch nie so gut“.

Hariwan Naif-Abdi, Azubi im Kombimodell

KURZINTERVIEW

Wir sprachen mit Mareike Steveling, Teamleitung Bildungs- und Integrationsberatung bei der IHK für München und Oberbayern, über das Kombimodell.

Frau Steveling, warum haben Sie das Kombimodell ausgerechnet für angehende Verkäuferinnen und Verkäufer auf die Beine gestellt?

Mareike Steveling: Wir haben festgestellt, dass über 90 Prozent der Jugendlichen, die diese Ausbildung wählen, einen Migrationshintergrund mitbringen und somit überdurchschnittlich häufig für Themen wie Sprachförderung oder Startschwierigkeiten eine Lösung gefunden werden muss. Hinzu kommt, dass sich der Handel insgesamt sehr offen für die Ausbildung in Teilzeit zeigt.

Die erste Kombi-Modell-Klasse hat nun erfolgreich ihre Prüfungen abgeschlossen, welche Hürden mussten Sie überwinden?

Im Grunde gibt es zwei Herausforderungen. Die erste: Es müssen sich genügend viele Unternehmen bzw. Auszubildende der gleichen Ausbildung finden, um eine eigene Berufsschulklasse bilden zu können. Hierfür sind die Unternehmen und die Koordination der IHK gefragt. Im Bereich Handel war das tatsächlich nicht schwer, die Betriebe suchen einfach händeringend nach Nachwuchskräften und das Kombimodell verbessert eindeutig die Chancen, dass die Ausbildung reibungsloser verläuft und erfolgreich abgeschlossen wird. In der Gastronomie und in der Lagerlogistik denke ich, gibt es ähnliche Strukturen. Wir werden als einer unserer nächsten Schritte die erforderliche Anzahl der Betriebe und Auszubildenden wahrscheinlich ähnlich schnell und einfach zusammenbringen, um bald auch eine zweite oder sogar dritte Ausbildung im Kombimodell durchzuführen.

Die zweite und so gesehen größere Herausforderung besteht für die Berufsschule. Sie muss für die Kombimodell-Klasse ihre internen Planungen und die Ressourcenverteilung ändern. Dafür braucht die Berufsschule Unterstützung und letztlich auch zusätzliche Ressourcen. Das gilt es mit der Politik abzustimmen, aber die Investition lohnt sich sicher, daher bin ich zuversichtlich, dass sich die erforderlichen Mittel finden werden.

Wie lautet Ihr Fazit nach der Pilotphase?

Der große Erfolg der Auszubildenden spricht doch für sich. Die Unternehmen können jetzt ihre gut ausgebildeten Nachwuchskräfte übernehmen, die nächste Klasse Verkäuferinnen und Verkäufer startet im September. Angesichts des Fachkräftemangels und mit Blick auf unsere gesellschaftliche Verantwortung können wir es uns nicht leisten, Jugendliche, die eigentlich arbeiten wollen, einfach verloren zu geben. Was investieren wir? Wenigstens ein halbes Jahr mehr Zeit für die Ausbildung und einen Extra-Tag pro Woche an der Berufsschule, um den klassischen Lernstoff zu unterrichten und gezielt zu fördern. Was gewinnen wir? Qualifizierte Nachwuchskräfte mit einem Berufsabschluss für die Wirtschaft. Das heißt zugleich, dass Jugendliche durch das Kombimodell ihren Weg ins Berufsleben erfolgreich gehen können, statt auf Sozialleistungen angewiesen zu sein. Ich denke mehr muss man nicht sagen.

Was empfehlen Sie interessierten Ausbilderinnen bzw. Ausbildern?

Tut Euch mit anderen Unternehmen zusammen, die dieselben Schwierigkeiten ihrer Auszubildenden feststellen und nehmt einfach Kontakt mit Eurer IHK auf. Die IHKs unterstützen dabei, das Kombimodell auch an anderen Orten bzw. für andere Ausbildungsberufe zu initiieren. Wie gesagt, wir hier in München planen, das Modell auch im Gastronomiebereich und im Bereich Lagerlogistik auszuprobieren.

Frau Steveling, danke für Ihr Engagement und die Anregungen.

 

Weiterführende Informationen

Kombimodell bei der IHK für München und Oberbayern

Für Unternehmen: Die Integrationsberatung der IHK für München und Oberbayern

Informationen zur Teilzeitausbildung unabhängig vom Kombimodell

Wegweiser Ausbildung
Handbuch für Unternehmen rund um die Ausbildung von Geflüchteten und neu Zugewanderten
(einschließlich der beratenden Kontaktpersonen in den bayrischen IHKs – vgl. S. 34)