Haben wir nicht alle ein bisschen FOMO?

PraxisArtikel

„Verzettel dich nicht!“ „Du kannst nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen“ – seien wir mal ehrlich: Wer kennt solche Sprüche nicht aus der eigenen Jugend, wenn einem die Eltern klarmachen wollten, warum man zum Beispiel besser auf die Klassenarbeit lernen und nicht auf den Fußballplatz oder zu einer Party gehen sollte. Dann loderte kurz die Panik auf, das total angesagte Event, bei dem jeder erscheinen würde, der etwas auf sich hält, zu verpassen.

Für diese Art von Angst gibt es heute einen eigenen Begriff: FOMO, Fear of missing out. Damit ist in der Regel der Drang gemeint, ständig aufs Handy schauen zu müssen – am Frühstückstisch, auf der Fahrt zur Arbeit, immer wieder während der Arbeitszeit und im Laufe des Abends, vor dem Zubettgehen, Werktags, Wochenends, im Urlaub, bei Freunden oder in der Pizzeria … Denn das „Was geht?“ und „Was ist angesagt?“ findet heute eben vor allem über Social Media statt. Egal ob es um die neusten Snapchat- oder Tiktok-Videos geht, um WhatsApp-Nachrichten von Freunden oder Posts von der Spielecommunity: Die Reize und Möglichkeiten zur Zerstreuung und Ablenkung sind für heutige Jugendliche vielfältig und als junger Mensch mit viel Tatendrang ist es nicht immer einfach, hier loszulassen. Jedoch die heutigen Formen der Selbstvergewisserung und Organisation des eigenen sozialen Lebens, finden nun einmal zu großen Teilen via Social Media statt, das ist Fakt und wird sich auch nicht ändern lassen. 

Selbstverständlich ist es für viele Ausbilderinnen und Ausbilder ärgerlich, wenn die Aufmerksamkeit und Konzentration ihrer bzw. ihres Auszubildenden nach dem Blick aufs Handy wieder einmal weg ist. Die Ausbildung wird dadurch anspruchsvoller und es erfordert immer wieder neue Energie, sich auf die Lerninhalte zu fokussieren. 

An die eigene Nase fassen

Auf der anderen Seite könnten wahrscheinlich auch viele Auszubildende ein Lied von der Ablenkung singen, wenn ihre Ausbilderinnen oder Ausbilder die Lerneinheit wieder einmal kurz unterbrechen, um im Outlook eine eingegangene E-Mail zu lesen oder selbst kurz ans Handy gehen, um eine Nachricht zu checken – vielleicht aus der gleichen Angst, eine wichtige Sache zu verpassen, nicht rechtzeitig auf eine Mitteilung zu reagieren oder für das fast ausverkaufte Konzert keine Karten mehr zu bekommen?

Etwas Nachsicht auf allen Seiten kann also nicht schaden. Wer ab und an aufs Handy schaut, muss nicht gleich eine krankhafte Handysucht haben (zu diesem Thema finden Sie vertiefende Informationen hier im Lernreich). Natürlich kann dies in Einzelfällen zutreffen, dann benötigt die oder der Auszubildende auf jeden Fall Hilfe. In den allermeisten Fällen gehört es aber wahrscheinlich einfach zur heutigen Lebensart und zu den Gepflogenheiten unserer technisierten Gesellschaft, denen sich die Erwachsenen ehrlicherweise auch nicht völlig entziehen – nur, dass sie bei sich selbst oft ein anderes Maß für das „noch verträglich“ ansetzen als bei Jugendlichen.

Wen das Aufs-Handy-Schauen bei seinen Auszubildenden jedoch massiv stört, geht am besten selbst mit gutem Beispiel voran und lässt bei Gesprächen mit ihnen Unterbrechungen so konsequent wie es nur geht nicht zu. Dann kann man auch mit gutem Gewissen die Karte spielen: „Liebe Suzann, wenn ich mir Zeit nehme, konzentriere ich mich immer zu 100 Prozent auf dich. Ich würde mir wünschen, dass du mir die gleiche Aufmerksamkeit schenkst.“ Vielleicht finden die Jugendlichen dann tatsächlich auch mehr Freude daran, sich voll und ganz auf die Sache zu konzentrieren. Und auch dafür gibt es in Neudeutsch bereits einen eigenen Begriff „JOMO“ (Joy of Missing out), also die Freude, sich auch mal ein Weilchen aus dem Grundrauschen im Netz auszuklinken. Das gelingt vor allem dann, wenn die anstehende Lern- bzw. Arbeitsaufgabe auch wirklich spannend ist, Ihre Auszubildenden mit allen Sinnen und der nötigen Eigenverantwortung fordert – und das Pling auf dem Smartphone dann vielleicht sogar als störend empfunden und deshalb abgeschaltet wird.