Raum, um Zukunft zu lernen

PraxisEngagementInterviews

Wie sollen Ausbilderinnen und Ausbilder ihre Auszubildenden auf die großen Veränderungen vorbereiten, die die digitale Transformation für die Arbeitswelt insgesamt, für den jeweiligen Beruf und für den eigenen Ausbildungsbetrieb im Speziellen bedeutet? Allein das Stichwort „KI“ führt schnell zu der Einsicht, 

  • dass sich immer mehr Jobprofile in immer mehr Branchen immer schneller substanziell verändern, 
  • dass Nachwuchskräfte somit zwingend über KI-Kompetenzen verfügen sollten und 
  • dass damit einhergehend die Bildung insgesamt schon bald nicht mehr dieselbe sein kann, wie wir sie heute verstehen und in Schulen, Ausbildungsbetrieben und Universitäten praktizieren.
     

Die Herausforderungen stehen also klar und deutlich vor Bildungsträgern, Lehrenden, Ausbildenden und den Verantwortlichen in der Bildungspolitik. Doch wie sieht es mit Lösungen aus? Es gibt sie, allerdings nicht als umfassenden Masterplan, sondern eher in Form vieler, mal kleiner und mal größer konzipierter Projekte, die mal von der Wirtschaft, mal von Bildungsträgern und mal durch die Politik angestoßen wurden und manchmal sogar eine neue Geschäftstätigkeit von neuen Dienstleistungsunternehmen im Umfeld der Bildung und Digitalisierung darstellen. 

Unter der Marke „BildungsRebell“ hat die bayerische Enabling-Agentur just ask! GmbH mehrere solcher Projekte ins Leben gerufen. Die beiden Verantwortlichen, Alexander Schmieden und Carlo Maßmann, stellen einige Ergebnisse ihrer Arbeit am 21. und 22. Oktober 2024 beim Ausbilderforum der IHK Ausbilderakademie Bayern vor. Wir hatten Gelegenheit, schon vorher mit den beiden darüber zu sprechen, was genau der Ansatz eines „Lernraums der Zukunft“ ist und wie sie damit bei Azubis sowie Ausbilderinnen und Ausbildern eine neue Lernbegeisterung schaffen und neue Lernformen erlebbar machen.

Herr Schmieden, Herr Maßmann, was ist der Lernraum der Zukunft?

Alexander Schmieden: Ursprünglich hatten wir das Konzept als „Klassenraum der Zukunft“ betitelt, denn wir waren zunächst auf den schulischen Bereich fokussiert. Wir haben dann aber schnell gemerkt, dass die Nachfrage und die Einsatzmöglichkeiten viel weiter gehen und letztlich alle Bildungsformate einschließen können, also auch Grundschulen, Universitäten, die Ausbildung, die Höhere Berufsbildung und nicht zuletzt die innerbetriebliche Weiterbildung. Der Leidensdruck ist allerorten ähnlich: Alle wissen, dass sich das, was wir lernen und wie wir es lernen, angesichts der umfassenden digitalen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft verändern muss. Aber wie gehen wir vor? Wie machen wir das praktisch? Wie schaffen wir echte Lernbegeisterung für die vielen neuen Technologien wie eben die KI, 3D-Druck oder Augmented Reality? Und wie trainieren wir die Fähigkeit, diese Entwicklungen auch kritisch zu reflektieren? Wir wollten nicht länger über diese Fragen und mögliche Aspekte der Antworten reden, sondern das einmal konkret begreifbar machen und einen Anfang schaffen.

Carlo Maßmann: Der Lernraum der Zukunft stellt ein ganzheitliches Konzept für moderne digitale Bildung dar, in dem die Komponenten Mensch, Raum und Technologie zu einem Dreiklang verbunden sind. Der Mensch steht als lernende Person im Mittelpunkt. Zugleich richtet sich der Lernraum der Zukunft aber auch an alle Lehrenden, die die digitale Bildung zum Beispiel an weiterführenden Schulen, in der Ausbildung oder an Universitäten gestalten und der digitalen Transformation bzw. den neuen Technologien konstruktiv begegnen wollen.

Damit Menschen sich für das Lernen öffnen und begeistern, ist eine lernfördernde Atmosphäre erforderlich, das meinen wir mit der Komponente „Raum“. Es geht um Farben, das Mobiliar, die gesamte multifunktionale Innenarchitektur und natürlich die Ausstattung mit den verschiedensten Geräten, durch die die Neugierde auf neue Technologien wie KI, Robotik, 3D-Druck oder eigenes Programmieren geweckt und Berührungsängste abgebaut werden. Die Technologie als dritte Komponente ist wiederum didaktisch so aufbereitet, dass das einfache und schnelle Erleben eigener Erfolge ermöglicht wird. Wer den Lernraum der Zukunft betritt, betritt eine neue Welt, die zum Entdecken auffordert, aber auch kritische Reflexionen anstößt: Was passiert hier durch diese Technologien mit uns als Lernende, als Lehrende oder als (zukünftige) Beschäftigte?

Wer will, kann den Lernraum der Zukunft ja tatsächlich schon besuchen …

Alexander Schmieden: Ja, in Halle konnten wir dank der Unterstützung durch zwei starke IT-Partner bereits den ersten Lernraum der Zukunft zum Leben erwecken. Seitdem buchen Schulen, Universitäten und Unternehmen den Raum und führen ganz verschiedene Projekte digitaler Bildung durch. Die Resonanz ist sehr erfreulich, das Konzept kommt an. Die örtliche IHK nutzt den Raum beispielsweise als Mehrwert für die Ausbilderqualifizierung nach AEVO. Aus gutem Grund, denn die Berufsbildpositionen geben ja vor, dass die Themen Digitalisierung und digitale Transformation in jeder Ausbildung bearbeitet werden sollen.

Carlo Maßmann: Es könnte im Grunde in jeder Stadt ein solcher Lernraum der Zukunft für die Schulen und Betriebe geschaffen werden. Wir laden alle Interessierten gerne ein, sich in Halle ihr eigenes Bild zu machen. Allerdings möchten wir klarstellen: Es ist kein Showroom, wo man mal durchgeht und ein bisschen guckt, das ist nicht unser Ansatz. Machen und selbst erleben, darum geht es, anstatt auf Distanz zu bleiben und immer weiter darüber zu reden. 

Einmal ungeachtet des Lernraums der Zukunft, worauf kommt es Ihrer Meinung nach an, wenn Ausbilderinnen und Ausbilder ihre Auszubildenden bzw. die Ausbildung in ihrem Unternehmen noch besser auf die digitale Transformation einstellen wollen? 

Carlo Maßmann: Das Rollenverständnis verändert sich durch den Einsatz der neuen Technologien fundamental. Wenn die KI fast alles weiß und für uns Aufsätze schreiben und Präsentationen erstellen kann, dann brauchen wir zum Beispiel ganz neue Formen lernfördernder Arbeitsaufträge und Aufgabenstellungen und neue Arten der Leistungsbeurteilung. Das Interessante hierbei ist: Neue Formen des selbstgesteuerten Lernens eröffnen den Ausbilderinnen und Ausbildern auch zusätzliche Freiräume, die sie für eine noch intensivere individuelle Förderung ihrer Auszubildenden nutzen können. All das geht, all das macht Spaß und es führt zu handfesten Lernergebnissen, sprich: Kompetenzen. Welcher Ausbilder hat denn selbst schon einmal ein eigenes KI-Modell erstellt oder eine Drohne programmiert? Das sollen nur Beispiele sein, um zu verdeutlichen: Ihr braucht eigene Erfahrungen, sonst könnt ihr die geforderten Ideen gar nicht entwickeln und die für die Zukunft dringend benötigten Kompetenzen vermitteln. Ein oder zwei Tage im Lernraum der Zukunft ermöglichen genau solche eigenen Lern- und Lehrerfahrungen, wir stiften hier die Initialzündung, die sich in den Köpfen weiter entfaltet.

Alexander Schmieden: Noch ein Beispiel ist das projektbasierte Lernen. Das machen schon viele Ausbildungsbetriebe in ihren „heimischen Gewässern“, in denen sie sich fachlich sicher fühlen. Hier haben Ausbildende dann auch klare Vorstellungen davon, was beim Projekt und dem projektbasierten Lernen herauskommen soll. Geht es nun aber um den Umgang mit neuen Technologien und ihren Einsatz in der Arbeitswelt, fühlen sich nicht wenige Ausbilderinnen und Ausbilder genauso wie viele Lehrende an den Berufsschulen erst einmal unsicher. Die Folge ist Zurückhaltung oder sogar Ratlosigkeit. Also haben wir uns intensiv damit beschäftigt, diese komplexen Themen in einfache und konkrete Projektaufgaben herunterzubrechen. Die Jugendlichen können und sollen ihre Lösung selbst entwickeln. Sie übernehmen, das beobachten wir immer wieder, unglaublich schnell Eigenverantwortung, identifizieren sich mit ihrem Projekt und wollen dann auch unbedingt weitermachen, der Funke hat gezündet.

Carlo Maßmann: Man muss die nötige Lernatmosphäre schaffen, die Technologie vor Ort im wörtlichen Sinne begreifbar machen und die richtigen Impulse geben, dann passiert ganz viel von allein. Ausbildende und Lehrende können und sollten also auch in diesen für sie selbst neuen und unbekannten Gefilden unbedingt projektbasiertes Lernen ermöglichen. Wir geben im Lernraum der Zukunft Beispiele, wie das funktionieren kann. Im Endeffekt entlasten sich die Ausbilderinnen und Ausbilder, sie müssen gar nicht die Top-Experten sein, sondern vor allem gute Lernbegleiter, die selbst Spaß daran haben, was mit den aktuellen Technologien heute schon alles machbar ist.

Alexander Schmieden: Ich denke, dass sich viele ausbildende Unternehmen noch einmal ganz neu darüber klar werden müssen, was für Menschen mit welchen Kompetenzen sie als ihre Nachwuchskräfte für die Zukunft eigentlich wirklich wollen und was das für die Ausbildung im Unternehmen bedeutet. Das „irgendwie Weitermachen“ wird jedenfalls immer weniger funktionieren und zu immer mehr Frustration bei den Ausbildenden und bei den Auszubildenden führen. Zudem ist es doch ein Gebot der Fairness, Jugendliche auf die enormen Veränderungen in der Berufswelt vorzubereiten, die wir heute schon erkennen können – schließlich ist das doch der originäre Auftrag der Ausbildung.

Nun wird es kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht gerade leichtfallen, einen eigenen Lernraum der Zukunft bereitzustellen, für diesen dann die neueste Technologie anzuschaffen und dazu die passenden eigenen Lernprojekte auf die Beine zu stellen …

Alexander Schmieden: Und das macht angesichts des Tempos der technischen Entwicklungen auch gar keinen Sinn. Viel effizienter ist es, Allianzen zu bilden: mit anderen Unternehmen, die ihre Auszubildenden ebenfalls in Sachen digitale Transformation und digitale (Aus-)Bildung fit machen wollen, mit den Berufsschulen, die ebenfalls nach neuen Konzepten suchen, und mit IT- bzw. Technologiepartnern, die vielleicht in dieser oder jener Branche zum Standard zählen.

Carlo Maßmann: Diese Empfehlung kann ich nur unterstreichen, denn auch wir haben genau diese Erfahrung gemacht. Man braucht Partner und selbstverständlich muss man „seinen“ Lernraum der Zukunft an die fach- oder berufsspezifischen Besonderheiten und an die Menschen, die ihn nutzen sollen, immer wieder anpassen. Im Maschinenbau springen die Lernenden auf andere Themen und Technologie-Einstiege an als in kaufmännischen Bereichen. Solche spezifischen Anforderungen kann man aber gemeinsam mit anderen lösen.

Alexander Schmieden: Ich sage es an so einem Punkt immer ganz offen: Ja, natürlich bedeutet das mehr Aufwand und mehr Arbeit, vor allem aber eine andere Art der Arbeit. Wir erleben es so oft, es motiviert uns und wir möchten diese Motivation gerne weitergeben: Die Arbeit, ein Netzwerk aufzubauen, gemeinsam Ressourcen bereitzustellen und dann auch neue Wege zu gehen, macht sehr schnell Lust auf mehr. Erfolg macht mutig, trauen Sie sich! Mehr Innovationsgeist und Tatkraft können wir im gesamten Bildungswesen gut gebrauchen, die digitale Transformation wartet nicht.

Herr Schmieden, Herr Maßmann, diesen Apell lassen wir gerne so stehen. Wir hoffen, dass sich viele Ausbilderinnen und Ausbilder mit ihren Unternehmen davon inspirieren lassen, sich zusammentun und ihr Projekt „Lernraum der Zukunft“ auf den Weg bringen.

 


Zur Person

Alexander Schmieden

  • Jahrgang 1977
  • Diplom Politologe, Gründer und Geschäftsführer der JUST ASK! GmbH
  • Initiator der Initiative „BildungsRebell“
     

Bereits 2010 initiierte Alexander Schmieden mit dem AzubiCamp eines der ersten professionellen externen Onboardings für Auszubildende, das mit dem Landespreis der Wirtschaftsjunioren Bayern prämiert wurde. Es folgten weitere Projekte, darunter die Entwicklung und Realisierung der bis dahin größten extracurricularen Seminarreihe für angehende Lehrkräfte in Deutschland mit insgesamt 19 Partneruniversitäten. Mit seinem Ausbildungskonzept „Ausbilden 4.0" berät er seit 2016 Verbände im Kontext der digitalen Aus- und Weiterbildung. Seit 2020 berät er als „BildungsRebell“ Unternehmen, Organisationen und Verbände zu den Implikationen, Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz.

 

Carlo Maßmann

  • Jahrgang 1995
  • Wirtschaftspädagoge M. A.
     

Carlo Maßmann begleitete bereits eine Vielzahl an Unternehmen und öffentlichen Institutionen bei Themen der digitalen Transformation, beispielsweise in den Bereichen KI, Industrie 4.0 und New Work. Als Kernelement der Initiative BildungsRebell unterstützt er seit 2021 Unternehmen und Bildungseinrichtungen bei ihren individuellen Digitalisierungs- und Agilitätsprojekten sowie den damit verbundenen Change-Prozessen. Durch seine Expertise unter anderem im Themenkomplex „KI und ihre Auswirkungen auf die Menschen“ hat sich Carlo Maßmann in den letzten Jahren zudem deutschlandweit einen Namen als Speaker und Impulsgeber gemacht. 
 

Zum Unternehmen

Die just ask! GmbH ist eine deutschlandweit tätige Enabling-Agentur. Der Fokus liegt auf digitaler Transformation, Künstlicher Intelligenz, Change-Prozessen sowie Agilität. 
Mehr Informationen unter

https://www.bildungsrebell.de
 

Weiterführende Links zum Thema

Ausbilderforum 2024 Westerham