NEETs – nicht genutztes Potenzial
Nach der Corona-Pandemie hat sich der sog. NEET-Indikator in Deutschland wieder erhöht. NEET steht für „Not in Education, Employment or Training“.
Die Europäische Union führte 2013 den NEET-Indikator ein, um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Europa systematisch angehen zu können. Der NEET-Indikator gibt an, wie viele Jugendliche bzw. junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 24 Jahren weder einen Schul- noch einen Berufsabschluss oder einen Arbeitsplatz haben. Kritiker des Indikators bemängeln, dass die verschiedenen Untergruppen mit ihren spezifischen Bedürfnissen nicht klar genug herausgearbeitet wurden, damit zielgenaue Interventionen entwickelt werden können. Denn zu den NEETs zählen einerseits sehr junge Eltern mit kleinen Kindern, aber auch junge Leute, die längere Zeit reisen, sowie diejenigen jungen Menschen, die beispielsweise wegen psychischer Probleme, Erkrankungen oder aufgrund einer Behinderung die Schule abgebrochen und anschließend keinen Ausbildungsplatz und keine Arbeit gefunden haben.
Trotzdem ist der Indikator wichtig, denn erstmals wurde diese Gruppe junger Menschen in den Fokus gerückt, um sie durch entsprechende Fördermaßnahmen als zukünftige Fachkräfte für den Arbeitsmarkt fit zu machen.
Handelt es sich um ein Randproblem?
NEETs kommen aus allen sozialen Schichten. Schulabbrüche finden sich in allen Schulformen von der Hauptschule bis zum Gymnasium, allerdings nimmt ihre Anzahl mit zunehmendem Bildungsniveau ab. Bildung ist und bleibt also weiterhin der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und einem Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe.
Die NEETs verloren zu geben und als „Rest“ zu behandeln, der einfach nicht arbeits- oder leistungswillig bzw. -fähig ist, kann sich die Gesellschaft nicht leisten. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft IW erhöhte sich 2022 die Fachkräftelücke auf den Rekordwert von 630.000 fehlenden Arbeitskräften. Gefragt sind dabei keine Beschäftigten für Hilfsarbeiten, sondern vor allem Fachkräfte mit Ausbildung, Fortbildung oder Studium. Im letzten Monatsbericht der Arbeitsagentur sieht es in Bezug auf die Belegung von Ausbildungsplätzen ähnlich aus: Im Juli 2023 waren noch 227.200 unbesetzte Ausbildungsstellen zu vermitteln, suchend waren hingegen nur noch 116.500 Bewerberinnen und Bewerber.
Diese Zahlen belegen klar, dass es ein fataler Fehler wäre, die geschätzt 630.000 jungen Menschen aufgrund ihres fehlenden Schulabschlusses, ihrer geringen Organisiertheit oder mangelnden Motivation einfach abzuschreiben. Der Bedarf an Nachwuchskräften ist da und steigt. Die Frage ist nur, in welchem Rahmen die Betriebe und diese jungen Menschen zusammenfinden, um sie doch noch in geeigneten Schritten zu Fachkräften entwickeln zu können.
Neue Ideen sind gefordert
Insgesamt müssen sich Unternehmen zunehmend umstellen. Sie müssen neue Wege der Nachwuchskräftegewinnung und -bindung erproben und ihre Angebote noch mehr auf die Bedarfe junger Menschen anpassen. Die Gruppe der NEETs benötigt darüber hinaus noch mehr Unterstützung und Orientierung. Insbesondere während der Coronazeit sind beispielsweise an den Schulen nahezu alle Maßnahmen zur Berufsorientierung entfallen. Wer aber ein Ziel vor Augen hat, findet vielleicht auch wieder die Motivation, den dafür erforderlichen Schulabschluss doch noch anzugehen – vielleicht auch auf ganz andere Art und Weise.
Gefordert sind also alle Instanzen, um diesen jungen Menschen neue Orientierung zu bieten und Chancen zu eröffnen. Denn in Deutschland leben bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen, die laut des Berufsbildungsberichts über keinen Berufsabschluss verfügen. Viele von ihnen gehören zu den Langzeitarbeitslosen. Mit dem Ignorieren der NEETs wird die Belastung für die Sozialsysteme über kurz oder lang somit weiter steigen. Deshalb tun die Unternehmen, die Politik und die Gesellschaft gut daran, sich rechtzeitig um diese jungen Menschen zu kümmern.
Wie können sich Unternehmen NEETs annähern?
Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA), ein Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) (www.kofa.de) hat einige grundlegende Impulse formuliert, wie Unternehmen Jugendliche der NEET-Gruppe erreichen und schrittweise für eine Ausbildung gewinnen können:
- Um Jugendliche außerhalb der Schule zu erreichen, wenden sich interessierte Unternehmen am besten an Jugendwerkstätten, Jugendämter, Jugendberufsagenturen, Jugendzentren und ggf. auch Sportvereine und Fitnessstudios.
- Zeigen Sie als Unternehmen zum Beispiel auf Ihrer Internetseite, über Social Media oder in kurzen, einfach gehaltenen Flyern, die Sie an geeigneten Orten auslegen, dass sie für Jugendliche offen sind, die nur eine geringe Schulbildung mitbringen oder „Umwege“ eingelegt haben.
- Geben Sie Jugendlichen mehr Zeit, um Vertrauen aufzubauen und ihre Stärken zu zeigen – zum Beispiel durch längere Praktika.
Die Agentur für Arbeit oder die Jobcenter können ggf. Zuschüsse zur Vergütung bewilligen.
- Zeigen Sie sich und die Ausbildung in Ihrem Unternehmen im Internet und auf Social Media nahbar. Erklären Sie beispielsweise, wozu wesentliche Grundkompetenzen im jeweiligen Beruf praktisch gebraucht werden und welche Unterstützung Sie bieten, damit die Grundlagen Schritt für Schritt sicher beherrscht werden.
- Stellen Sie Ihre Angebote ggf. auch in mehreren Sprachen zur Verfügung. In der Gruppe der NEET-Jugendlichen sind überproportional viele Menschen mit Migrationshintergrund vertreten, die sich auf diese Weise besser angesprochen fühlen und die ihre Deutschkompetenzen noch weiter ausbauen, wenn sie denn gefordert und gefördert werden.
- Nutzen Sie bestehende Unterstützungsmöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit wie die assistierte Ausbildung (AsA), die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) oder die sog. Einstiegsqualifizierung.
Weiterführende Informationen/Links
- Informationen der Bundesagentur für Arbei für Unternehmen: Assistierte Ausbildung
(Die assistierte Ausbildung wurde mit den ausbildungsbegleitenden Hilfen zusammengelegt.)
- Informationen der Bundesagentur für Arbei für Unternehmen: Einstiegsqualifizierung
- KOFA – Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung