Man Digger, chill mal!

PraxisArtikel

„Man Digger, chill mal!“ – denkt sich Lars, spricht es gegenüber seinem Ausbilder aber nicht aus, stattdessen: Runterschlucken.

Was beschreibt die Szene? Nennen wir es einfach eine „Dissonanz“ im Verhältnis zwischen Azubi und Ausbilder. Sowas kommt vor und gehört letztlich für beide Seiten zum Berufsleben dazu. Denn zu glauben, es könnte immer alles Friede, Freude, Eierkuchen sein, wäre schlichtweg naiv. Tatsächlich sind Konflikte nach Ansicht des Forschers Norbert Ropers „eine unvermeidbare und für den sozialen Wandel notwendige (!) Begleiterscheinung des Zusammenlebens in allen Gesellschaften.“ Konkreter und mit Blick auf die Ausbildung formuliert: Wer von seinen Auszubildenden eine persönliche und fachliche Entwicklung erwartet, muss darauf vorbereitet sein, dass es hierbei auch zu Konflikten kommt.

Seien wir ehrlich: Ein wenig theoretische Vorbereitung auf potenzielle Konflikte mit den eigenen Auszubildenden findet in den AdA-Lehrgängen statt, das meiste lernen Ausbilderinnen und Ausbilder aber eher weniger strukturiert durch die Praxis. Zudem macht es natürlich einen Unterschied, ob es wie in der am Anfang dieses Artikels skizzierten Szene um eine „Dissonanz“ geht oder um einen handfesten Konflikt. Doch wo verläuft die Grenze? Und wie können Ausbilderinnen und Ausbilder erkennen, ob ihrer bzw. ihrem Auszubildenden gerade „nur“ eine Verstimmung im Magen liegt, die sich wieder von alleine gibt, oder ob da Schlimmeres „gärt“? Ab wann ist überhaupt von einem Konflikt zu sprechen, wie lässt er sich frühzeitig erkennen und am besten auch lösen?

TIPP

Umfassende Antworten auf diese Fragen erhalten Ausbildende am besten in speziell auf die Ausbildung abgestimmten Konfliktmanagement- bzw. Konfliktpräventions-Trainings, die zum Beispiel über die IHKs oder von ausgebildeten Trainerinnen/Trainern und Coaches angeboten werden. Doch auch wer sich dazu (noch) nicht entscheiden kann, weil es bei ihr oder ihm im Großen und Ganzen doch ganz harmonisch in der Ausbildung zugeht, sollte die Zeit nutzen und sich zum Beispiel durch eine Recherche im Internet mit dem Thema auseinandersetzen, denn eines ist sicher: Irgendwann ist der Konflikt da, irgendwann sind die Fronten verhärtet, ohne dass man so richtig sagen kann, wann die Situation gekippt ist – und dann wäre es schön gewesen, wenn man noch rechtzeitig die richtige Ausfahrt genutzt hätte …  

Einige Hintergrundinformationen, grundlegende Überlegungen und Leitlinien haben wir für Sie im Folgenden schon zusammengestellt.
 


Kurzdefinition „Konflikt“

Ein Konflikt ist eine mindestens von einer Seite als emotional belastend und/oder sachlich inakzeptabel empfundene Interaktion, die durch eine Unvereinbarkeit der Verhaltensweisen, der Interessen und Ziele sowie der Annahmen und Haltungen der Beteiligten gekennzeichnet ist.
(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung in Anlehnung an Friedrich Glasl)


 

Gehen wir die Definition in Zeitlupe durch:

  • Ein Konflikt ist eine INTERAKTION – das bedeutet: 
    Das Handeln von mindestens einem Konfliktbeteiligten ist bereits der Konflikt. Hierbei ist das „Wie jemand gegenüber der anderen Konfliktpartei handelt“ somit viel bedeutsamer als das „Warum jemand so oder so handelt“. 

    Klar, wenn man das Warum versteht, fällt es manchmal auch leichter, das Wie zu akzeptieren. Viel wichtiger ist aber, dass eine Veränderung des Handelns (und nicht das Erklären des Warums) DER entscheidende Hebel ist, um einen schwelenden Konflikt weiter anzufachen – oder eben zu löschen. 
     
  • Ein Konflikt ist eine EMPFUNDENE Interaktion – das bedeutet:
    Für das Entstehen und wieder Deeskalieren von Konflikten kommt es sehr darauf an, welche Emotionen im Spiel sind – und bei Konflikten geht es immer um Emotionen. Noch deutlicher: Wie ein Handeln gemeint war, ist etwas anderes als wie es von der anderen Seite empfunden wurde. Letzteres zählt für den Konfliktverlauf erheblich mehr als ersteres. Eine weitere wichtige Stellschraube, um Konflikte zu vermeiden bzw. wieder zu „entschärfen“, ist somit Empathie, Einfühlungsvermögen, d. h. die Fähigkeit und Bereitschaft, die Empfindungen, Emotionen, Gedanken und Motive der anderen Seite zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden (vgl. Wikipedia).
     
  • Ein Konflikt ist gekennzeichnet von der UNVEREINBARKEIT der Verhaltensweisen, Interessen, Ziele sowie der Annahmen und Haltungen der Beteiligten – das heißt:
    Es muss schon einiges zusammenkommen, bis es zu einem „echten“ Konflikt kommt – und deshalb verfügen wir in unserem alltäglichen Miteinander, sei es in der Ausbildung, im Berufsleben oder auch privat, über zahlreiche Chancen, drohende Eskalationen abzuwenden. Dass man ab und an verärgert über jemand anderen ist? Normal. Dass Interessen unterschiedlich sind? Normal. Dass man die Haltung, die jemand zeigt, unangebracht findet? Normal. Dass man sich auch mal streitet? Normal. Dass man persönlich beleidigt ist? Kann vorkommen… 

    Unser Miteinander lebt davon, dass wir ständig über Dissonanzen und Uneinigkeiten hinwegsehen, Dinge nicht auf die Goldwaage legen oder aus jeder Mücke einen Elefanten machen – aus gutem Grund. Denn nur ungern verlässt der Mensch die Komfortzone eines konfliktfreien oder zumindest konfliktarmen Alltags. Die wenigsten Menschen suchen Streit, denn Streit bedeutet Stress und ein echter Konflikt bedeutet Stress zum Quadrat! Damit richtet sich der Blick auf einen dritten wichtigen Aspekt für das Entstehen und wieder Deeskalieren von Konflikten, unsere persönliche Resilienz als Ausbilderin oder Ausbilder – und ebenso die Resilienz unserer Auszubildenden. Jeder Mensch verfügt über ein mehr oder weniger dickes Fell, um „Attacken“ an sich „abtropfen“ zu lassen, wirklich schwierig werden Situationen, die – um im Bilde zu bleiben – unter die Haut gehen. 
     

Zusammengefasst

Das (1) Handeln der Konfliktparteien (je mehr ein Konflikt eskaliert, desto mehr werden auch Worte zu Taten),
die (2) gegenseitige Empathie und
die (3) jeweiligen Resilienzniveaus
beschreiben schon recht gut, worauf zu achten ist, damit einfache Streitigkeiten nicht zu ernsthaften Konflikten ausarten und woran in jedem Falle zu arbeiten ist, wenn die Fronten sich verhärtet haben. 

Eskalationsstufen

Eines der etabliertesten Modelle für Konfliktverläufe hat der österreichische Ökonom, Organisationsberater und Konfliktforscher Friedrich Glasl erarbeitet. Der Haken an dem Modell: Es soll für jegliche Art von Konflikten gelten, vom privaten Umfeld über die Geschäftswelt bis hin zu internationalen Konflikten zwischen Staaten. Im Umkehrschluss bildet das Modell jedoch keine spezifischen Rahmenbedingungen ab, die zum Beispiel in der Ausbildung erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Konfliktparteien haben.

Man muss also einiges an Transferleistung investieren, um für die Praxis brauchbare Handlungsimpulse aus der Theorie ziehen zu können. Nach Glasl entwickeln sich Konflikte wie ein Abwärtsstrudel, der die Konfliktparteien bis hin zur gegenseitigen Vernichtung in den Abgrund reißt. Den Prozess gliedert Glasl in drei markante Ebenen mit jeweils drei Eskalationsstufen:

Impulse für ein besseres Konfliktverhalten in der Ausbildung

Noch einmal: Damit Glasls Modell dabei helfen kann, die beschriebene, leider sehr typische Konfliktdynamik zu durchbrechen, sind die Persönlichkeiten der Konfliktparteien, ihre tatsächliche Beziehung zueinander, die konkrete Situation und der Kontext bzw. das Umfeld, in dem die Spannungen entstanden sind, ebenfalls zu berücksichtigen. Glasl beschreibt kein Naturgesetz, sondern eine typische Verkettung menschlicher Verhaltensweisen, Aktionen und Reaktionen. Mit Blick auf die Ausbildung halten wir hier die folgenden Impulse fest:

  • Ausbilderinnen und Ausbilder, letztlich alle Führungskräfte, sollten das Modell in seinen Grundzügen kennen, denn mit seiner Hilfe können sie auch Konflikte, in die sie selbst (zumindest am Anfang) gar nicht involviert sind, von einem neutralen Standpunkt aus einschätzen und, wenn nötig, zur Lösung beitragen bzw. rechtzeitig Hilfe von außen anfordern. 
    Ausbilderinnen und Ausbilder stehen beispielsweise immer wieder vor der Herausforderung, Konflikte zwischen ihren Auszubildenden schlichten oder Spannungen zwischen Auszubildenden und anderen an der Ausbildung mitwirkenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entschärfen zu müssen. Auch hierfür bietet das Modell grundlegende analytische Hilfestellungen: Wie weit ist die Situation bereits fortgeschritten?
     
  • Es lohnt sich, dass Ausbilderinnen und Ausbilder in einem frühen Stadium der Ausbildung dafür sorgen, dass auch ihre Auszubildenden das Modell oder einen ähnlichen Ansatz der Konfliktforschung kennenlernen, denn auf diese Weise entsteht eine präventiv wirkende Sensibilität dafür, dass Konflikte einfach zum sozialen Miteinander dazugehören, allerdings oft unterschwellig beginnen und sich sehr leicht unbewusst weiterentwickeln können. Zudem hilft das Modell dabei, dass auch Auszubildende frühe Stufen der Konfliktdynamik besser erkennen und in einem lösungsorientierten Modus zu einem gemeinsamen Ausweg finden können – Win-Win!
     
  • Glasl hebt hervor, dass Konflikte, die sich auf den ersten drei bis vier Stufen abspielen, noch gemeinsam von den Konfliktparteien beigelegt werden können. Spätestens ab der vierten Stufe benötigen die Konfliktparteien jedoch Hilfe von außen, beispielsweise einen Mediator. 
     

TIPP

Wenn Sie Schwierigkeiten feststellen, wie ein Konflikt in der Ausbildung gelöst werden kann, sprechen Sie lieber zu früh als zu spät die Ausbildungsberatung Ihrer IHK an. Die IHK-Ausbildungsberaterinnen und -berater übernehmen zwar selbst keine Mediation im engeren Sinne des Wortes, sie verfügen aber über umfassende Praxiserfahrung und können als neutrale Instanz mit den Beteiligten sprechen. Zudem verfügen sie über ein exzellentes Netzwerk, um ggf. die für den Einzelfall passende Unterstützung zu organisieren. 
 

Was trägt noch zur Konfliktprävention bei?

Wie beschrieben profitieren Ausbildende und Azubis davon, sich zumindest grundlegend mit den Themen „Konfliktdynamik“ und „Konfliktprävention“ auseinanderzusetzen. Weitere Maßnahmen, damit im Alltag völlig normale Spannungen oder auch Streitigkeiten nicht aus dem Ruder laufen, sind insbesondere:

  • Eine wirklich gelebte Feedbackkultur im Unternehmen
    Wo Menschen gelernt haben, wie sie ihren Kolleginnen und Kollegen sowie ihren Vorgesetzten konstruktiv Feedback geben und dieses dann auch anerkannt und wertgeschätzt wird, können die allermeisten (drohenden) Konflikte bereits auf der Win-Win-Ebene gelöst werden. 
     
  • Eine wirklich gelebte Fehlerkultur im Unternehmen
    Nobody is perfect und kein Mensch macht absichtlich Fehler (wer absichtlich Fehler macht, begeht Sabotage). Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern befreit von meist überflüssigen Schuldfragen und lenkt den Blick auf das Lern- und Optimierungspotenzial, das jeder Fehler aufzeigt: Wir können (gemeinsam) besser werden, darum geht’s – Win-Win statt Schuld und Schande.
     
  • Teamwork statt Einzelkämpfer
    Durch die Förderung von Teamwork können Jugendliche die Verschiedenartigkeit von Persönlichkeiten, Denk- und Handlungsweisen positiv erleben, als Bestandteil des Teambuildings auch reflektieren und letztlich als Bereicherung verstehen. Die Erfahrung, Schwierigkeiten im Team gelöst zu haben, ist ein direkter Beitrag zum Training und zur Steigerung der individuellen Resilienz, der Problemlösungs- und Sozialkompetenz.
     
  • Last but not least: Wertschätzung und Anerkennung wann und wo immer es geht!
    Schaut man sich an, wann Menschen bei Auseinandersetzungen mental die Sachebene verlassen und damit oft unbewusst in den Sog der Konfliktdynamik geraten, so hat das oft mit dem Gefühl zu tun, die eigene Meinung, der eigene Wissensstand und/oder die eigene Persönlichkeit werde nicht ausreichend anerkannt und wertgeschätzt. Deshalb zählt gerade gegenüber Jugendlichen, die sich inmitten einer oft noch sehr tiefgreifenden Persönlichkeitsentwicklung befinden, jedes Signal der Anerkennung und Wertschätzung zur Festigung der Vertrauensbeziehung. 
    Auch wenn es bei der Frage XY Uneinigkeit gibt, schätze ich Dich als Mensch genauso wie immer! Unser Miteinander wird nicht von einer Streitfrage bestimmt, sondern von gegenseitigem Respekt und der Fähigkeit, uns trotz unserer Meinungsverschiedenheit als Menschen zu sehen. 
     

Zum Schluss …

bleibt unsere Ermunterung: Bleiben Sie gelassen! Erst recht, wenn sich Dissonanzen, Spannungen oder Streitigkeiten bemerkbar machen. Aktionitis führt selten zu guten Ergebnissen und vieles wird am Ende nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Trotz aller Theorie und Reflexion, es ist und bleibt zu einem gewissen Teil auch Typsache, wie jemand mit zwischenmenschlichen Herausforderungen und Konflikten umgeht. Als Ausbilderin oder Ausbilder können (und sollten) Sie sich über ihre persönlichen „Trigger“ klar werden und Sie können sehr viel dazu beitragen, dass Auszubildende auch eine für ihr gesamtes Berufsleben wertvolle Konfliktlösungskompetenz entwickeln. Letztlich sind Sie aber keine professionelle Mediatorin bzw. kein professioneller Mediator und Sie sind erst recht keine Therapeutin bzw. Therapeut. Deshalb ist es klug, sich die Grenzen der eigenen Möglichkeiten bewusst zu machen und lieber zu früh als zu spät neutrale Personen von außen hinzuzuziehen, so bleibt die Chance gewahrt, dass keine der Parteien als Verlierer dasteht und das positive Potenzial eines Konflikts – immerhin einer der stärksten „Booster“ für soziale Entwicklungen (siehe oben) – genutzt werden kann. 
 

Weiterführende Links

Die bayerischen IHK-Ausbildungsberatungen

Konflikte in der Ausbildung erkennen und lösen, Artikel auf der Plattform leando, Portal für Ausbildungs- und Prüfungspersonal, gefördert vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Konflikte in der Ausbildung – kurzer Übersichtsartikel der IHK Karlsruhe mit Nennung der häufigsten Gründe für Konflikte in der Ausbildung und grundlegenden Handlungsempfehlungen

Darstellung des Modells der Konfliktdynamik nach Glasl, zum Beispiel bei der Bundeszentrale für politische Bildung

Überaus – Fachstelle für Übergänge in Ausbildung und Beruf: Kurze Lernvideos speziell für Ausbilderinnen und Ausbilder „So nicht!" - Umgang mit Konflikten in der Ausbildung