Digitales Lernen lernen
Seit der Corona-Pandemie scheint es so zu sein, als würde von nun an die digitale Bildung das neue Universalinstrument zur Qualifizierung von Schülerinnen und Schülern, Auszubildenden und Beschäftigten aller Branchen und Karrierestufen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Webinar angeboten oder eine neue Lernplattform vorgestellt wird. Nur: Digitales Lernen will gelernt sein – auf Seiten der Lernenden und (!) auf Seiten der Anbieter.
Große Unterschiede
In der Tat sind es Klischees, dass die heutigen Jugendlichen per se digital affin seien und ältere Mitarbeiter mit dem Tempo der digitalen Entwicklungen nur schwer mithalten könnten. Doch sie zeigen, wie weit die Anforderungen auseinandergehen, die Personalentwicklerinnen und Personalentwickler erfüllen müssen, wenn sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fit fürs digitale Lernen machen wollen. Denn mal ehrlich: Können Auszubildende tatsächlich schon digital lernen, weil sie ohnehin für jede Kleinigkeit bei YouTube Videos anschauen? Oder brauchen sie nicht auch die Fähigkeit, das unendliche Angebot an Information im Internet kritisch zu filtern und brauchbares Wissen von sinnfreien Halbwahrheiten zu unterschieden? Fähigkeiten also, die ältere Mitarbeiter viel eher mitbringen und die ihnen oft schneller zum richtigen Ergebnis verhelfen, wenn sie die Lösung für ein Problem im Internet recherchieren.
Digitales Lernen braucht demnach Lernkompetenzen und digitale Kompetenzen, sonst droht aus dem Hype der digitalen Bildung schnell ein kostspieliger Flop zu werden. Fangen wir einfach einmal an:
Was sind digitale Kompetenzen überhaupt?
Im Grunde handelt es sich um eine schon in die Jahre gekommene Frage. Bereits seit 2011 arbeitet beispielsweise die Europäische Kommission an Empfehlungen für Bürgerinnen und Bürger sowie für die Politik, wie digitale Kompetenzen evaluiert und gezielt weiterentwickelt werden können. 2013 veröffentlichte sie den sogenannten Europäischen Referenzrahmen für digitale Kompetenzen „DigComp“, der 2017 in der Version 2.1 erschien. In ihm werden fünf übergreifende Kompetenzfelder in insgesamt 21 Einzelkompetenzen aufgeschlüsselt:
- Beherrscht eine Person den Umgang mit Informationen und Daten?
z. B. das eigene Recherchieren im Internet und Filtern der Suchergebnisse
- Wie steht es um die Fähigkeiten der digitalen Kommunikation und Zusammenarbeit?
z. B. durch die sichere Beherrschung der hierfür eingesetzten Software
- Kann eine Person digitale Inhalte erstellen?
z. B. Texte, Tabellen und Präsentationen oder, als Kern ganzer Berufszweige, Datenbanken, Programme, Web-Designs usw.
- Hat eine Person ein angemessenes Verständnis von Datensicherheit und Datenschutz?
z. B. was den Umgang mit Unternehmensdaten oder Kundenadressen angeht
- Wie ausgeprägt ist die Fähigkeit, digitale Probleme bzw. Probleme durch den Einsatz digitaler Tools zu lösen?
z. B. in technischer Hinsicht beim Installieren von Software oder durch selbstinitiiertes (digitales) Lernen
Theorie und Praxis
Theoretisch steht den Unternehmen somit eine klare Struktur zur Verfügung, um
- die verschiedenen Arbeitsbereiche und Abteilungen dahingehend zu analysieren, welche digitalen Kompetenzen die Beschäftigten in welchen Kompetenzfeldern jeweils mindestens haben sollten (digitale Kompetenzprofile),
- zu prüfen, inwieweit die Mitarbeiter diese Kompetenzprofile jeweils erfüllen (Evaluation) und
- entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen aufzusetzen, um den Bedarf digitaler Kompetenzen im Unternehmen zielgerichtet zu decken und bereichsspezifisch weiterzuentwickeln.
Praktisch bedeutet das allerdings eine Menge zusätzlicher Arbeit, die sich nebenbei im Tagesgeschäft kaum unterbringen lässt. Die Erarbeitung einer unternehmensspezifischen Strategie „digitale Kompetenzen der Mitarbeiter“ muss also von Seiten der Geschäftsführung mitgetragen werden, sie erfordert Arbeitszeit und eine enge Zusammenarbeit aller Führungskräfte, da sie – zumindest im Idealfall – die gesamte Belegschaft von heute und morgen tangiert.
Was sind Lernkompetenzen?
Auch diese Frage zeichnet sich nicht gerade dadurch aus, dass sie noch nie gestellt wurde, ganz im Gegenteil: Es gibt Unmengen von Fachliteratur, Studien und Experten für nahezu jede Zielgruppe, die vielleicht etwas lernen könnte oder sollte oder müsste: vom Säugling bis zum Greis, vom Hund bis zum autonomen Algorithmus …
Gehen wir es daher anders an: Eine Berufsgruppe im Unternehmen verfügt zum Thema Lernkompetenzen in jedem Falle bereits über vertieftes Know-how: die Ausbilderinnen und Ausbilder. Es zählt zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben, Auszubildenden die Fähigkeiten und die Bereitschaft zu vermitteln, berufliche Informationen, Sachverhalte und Zusammenhänge selbstständig und im Team der Kolleginnen und Kollegen zu verstehen, auszuwerten und in gedankliche Strukturen einzuordnen (vgl. Wikipedia). Zudem kennen sie das Unternehmen, sein spezifisches Kerngeschäft und die Führungskräfte aller wesentlichen Abteilungen.
Wenn es also darum geht, eine Strategie zu Weiterentwicklung der digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter zu entwerfen, gehören die Ausbildungsverantwortlichen mit ihrem Know-how rund um die Förderung selbstständigen Lernens zwingend mit ins Boot. Sicher lassen sich nicht alle Lernmethoden aus der Ausbildung auf alle Altersgruppen und Karrierestufen eins zu eins übertragen, doch immerhin lässt sich ein Anfang machen, der trägt. Digitale Kompetenzen und Lernkompetenzen sind die Voraussetzung dafür, dass digitales Lernen im Unternehmen zum Erfolg werden kann. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigen Ihnen exemplarisch diese Artikel:
Praxisbeispiel 1: Ausbilden für die Industrie 4.0
Praxisbeispiel 2: Das Wissen der „Digital Natives“ nutzen
Praxisinformationen zur Qualifizierung und Weiterbildung älterer Mitarbeiter (PDF)
Sie haben in Ihrem Unternehmen eigene Konzepte entwickelt und realisiert?
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