Bleiben? Lohnt sich mehr als gehen!
Die gute Nachricht zuerst: Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung lag die Übernahmequote von Auszubildenden 2023 weiterhin auf einem hohen Niveau, und zwar über alle Ausbildungsberufe betrachtet bei insgesamt rund 76 Prozent. Diese Zahl belegt, dass die Idee der Fachkräftegewinnung durch Ausbildung im Grundsatz weiterhin Bestand hat und in etwa drei von vier Fällen auch funktioniert.
Was ist mit den übrigen 24 Prozent?
Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Ein Teil dieser Auszubildenden, das muss man selbstverständlich auch klar formulieren, hat die Erwartungen des Ausbildungsbetriebes einfach nicht erfüllt: Qualifikationsmängel, Leistungsprobleme, mangelnde Teamfähigkeit … Ein Übernahmeangebot kann es nur geben, wenn der Ausbildungsbetrieb zu der Überzeugung gekommen ist, dass die oder der Auszubildende eine Bereicherung für das bestehende Team und die Bearbeitung der zukünftigen Aufgaben werden wird. Ist das nicht der Fall, führt man die Ausbildung professionell zu Ende und trennt sich danach besser voneinander.
Ein weiterer Teil der nicht übernommenen Auszubildenden hat kurz gesagt einfach Pech. Denn in unseren schnelllebigen Zeiten kann es in jeder Branche passieren, dass sich die wirtschaftliche Lage eines Betriebes nicht so entwickelt hat, dass die Übernahme eines oder aller Auszubildenden in Frage kommt. Wo grundsätzlich Personal abgebaut werden muss, werden in der Regel auch keine neuen Fachkräfte eingestellt.
Als dritte Möglichkeit für die Nicht-Übernahme kommen schließlich noch die Auszubildenden in den Blick, die von sich aus nur wenig, vielleicht sogar überhaupt nicht, an einer Übernahme interessiert sind. Immer wieder ist im Internet beispielsweise zu lesen, dass Auszubildende nach ihrem Abschluss das Unternehmen wechseln sollten, um ihre fachlichen und persönlichen Erfahrungen gleich im nächsten Betrieb zu erweitern und damit ihren beruflichen Aufstieg aktiv voranzutreiben. Azubis, die über gute Noten verfügen und persönlich schon gereifter auftreten, besitzen oft auch das nötige Selbstbewusstsein, um sich mit Neugier nach Alternativen umzuschauen und dann auch „in die Welt hinauszugehen“. Ähnlich sieht es für solche Auszubildenden aus, die über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügen, sich aber im ersten Schritt doch für eine Ausbildung entschieden haben. „Wenn Studium, dann jetzt“, so lautet oft die Überlegung und allerspätestens bei diesen Kandidatinnen und Kandidaten kommt für Ausbildungsbetriebe die Frage in den Blick, wie man diese High-Potentials vielleicht doch noch erfolgreicher halten könnte.

Die genaue Verteilung zwischen den hier aufgeführten drei Differenzierungen ist statistisch leider nur sehr wenig erfasst. Dass aber ein professionelles Übergangsmanagement nicht erst in den letzten sechs Monaten der Ausbildung beginnen sollte und auch nicht nur für die Top-Absolventinnen bzw. -Absolventen relevant ist, belegt eine Zahl der DGB-Ausbildungsstudie 2024: Über ein Drittel (34,5 Prozent) der Auszubildenden weiß selbst im letzten Ausbildungsjahr noch nicht, ob sie bzw. er vom Ausbildungsbetrieb übernommen wird (Quelle: DGB-Ausbildungsstudie 2024) – Vertrauensbildung und zusätzliche Motivation für den Endspurt der Ausbildung sieht anders aus.
Warum lohnt sich ein Übergangsmanagement?
Aus Sicht der Ausbildungsbetriebe bedeutet die Übernahme einer oder eines Auszubildenden, der jungen Fachkraft Sicherheit für ihren Berufseinstieg zu bieten. Im Gegenzug profitiert das Unternehmen davon, dass es die fachlichen und persönlichen Kompetenzen der Auszubildenden bzw. des Auszubildenden bereits sehr gut einschätzen kann: Man weiß, was man bekommt.
Außerdem ist die Kandidatin bzw. der Kandidat bereits optimal in die spezifischen Besonderheiten des Unternehmens eingearbeitet. Die Kolleginnen und Kollegen kennen die Person bereits, sie ist mit der Unternehmensorganisation vertraut und kann mit der vorhandenen Technik, IT usw. ohne Einarbeitung sofort umgehen.
Aus Sicht der jungen Menschen stellt sich die Situation „Berufseinstieg“ allerdings ein wenig anders dar – auch weil die demografische Entwicklung jungen Fachkräften in die Karten spielt. Für sie ist vor allem wichtig, einen Beruf auszuüben, der ihnen Spaß macht. Das Thema „sicherer Arbeitsplatz“ steht zwar wie eh und je auch weiterhin recht weit oben auf der Wunschliste für den Berufseinstieg, daneben finden sich aber eine Reihe weiterer, mindestens ebenso wichtiger Aspekte:
Erwartungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an die berufliche Tätigkeit
- 98% der Befragten ist besonders wichtig bzw. wichtig, dass sie einen Job haben, der ihnen Spaß macht.
- 95 % sind nette Kollegen besonders wichtig oder wichtig.
- 94% wünschen sich einen Arbeitsplatz, der ihren Fähigkeiten und Neigungen entgegenkommt und
- 93% wollen einen sicheren Job.
(Quelle: McDonald’s Ausbildungsstudie 2019)
Handlungsempfehlungen für mehr Azubi-Bindung
Schon diese vier Zahlen weisen auf wichtige Punkte hin, die ein professionelles Übernahmemanagement in den Blick nehmen sollte.
- Der Anreiz, einen sicheren Arbeitsplatz zu erhalten, reicht heute, in Zeiten des Fachkräftemangels, nicht mehr aus, um Auszubildende an ihren Ausbildungsbetrieb zu binden. Es muss also weitere attraktive Aspekte geben, die für den Verbleib im Ausbildungsbetrieb sprechen.
- Die zunehmende Integration der Auszubildenden bereits während ihrer Ausbildung in den Kreis der späteren Kolleginnen und Kollegen hat hierbei eine entscheidende Bedeutung für die spätere Übernahme – nicht nur für den Betrieb, sondern genauso für die Auszubildenden.
- Es lohnt sich für Ausbilderinnen und Ausbilder, sich regelmäßig, das bedeutet eben nicht erst sechs Monate vor dem Abschluss der Ausbildung, mit ihren Auszubildenden darüber zu unterhalten, wie sie die Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten und ihrer besonderen Interessen/Neigungen im Beruf und im Betrieb einschätzen und diese Einschätzungen dann auch mit der Personalabteilung bzw. Geschäftsführung mit Blick auf die spätere Übernahme abzustimmen. Denn ein Übernahmeangebot für einen Berufseinstieg in Abteilung A wird auf wenig Resonanz stoßen, wenn die eigentliche Leidenschaft viel mehr in den Aufgaben von Abteilung B liegen.
Natürlich kann die Verteilung der personellen Ressourcen nur selten speziell an die Wünsche der Auszubildenden angepasst werden. Wenn in Abteilung B keine Stelle frei ist, sieht es im ersten Moment schlecht für die Erfüllung dieses Wunsches aus. Oftmals ergeben sich aber, wenn alle Beteiligten frühzeitig die Weichen stellen können, zusätzliche Perspektiven, weil zum Beispiel klar ist, dass eine ältere Mitarbeiterin oder ein älterer Mitarbeiter in einigen Monaten ausscheiden wird. Oder die Abteilung B kann, wenn sie mit ausreichender Vorlaufzeit informiert wurde, durch die zusätzliche Fachkraft auch zusätzliche Aufgaben bzw. Projekte übernehmen, die sonst nicht zur Diskussion gestanden hätten. Kurz gesagt: Es gilt, frühzeitig abzuklopfen, wie Wunsch und Wirklichkeit zusammenkommen können – und dafür braucht es in aller Regel mehr Vorlauf als das letzte halbe Jahr am Ende der Ausbildung.
Allgemeiner gesprochen: Wenn sich die Entscheidungsprozesse im Unternehmen zäh gestalten und die Ungewissheit, ob und wie genau es denn nun nach dem Abschluss weitergeht, zu lange dauert, bringt das Auszubildende mitunter erst auf die Idee, sich über eine Zukunft unter anderer Flagge Gedanken zu machen.

Der Klassiker: das Übernahmegespräch
Laut Berufsbildungsgesetz sind Vereinbarungen für die Zeit nach der Ausbildung für beide Seiten nur bindend, sofern sie innerhalb von sechs Monaten vor dem Abschluss der Ausbildung getroffen wurden. Ausbildungsbetriebe, die ihre Auszubildende oder ihren Auszubildenden ernsthaft übernehmen wollen und bis zu diesem Zeitfenster warten, bis sie Übernahme-Signale senden, vergeben wichtige Chancen, siehe oben. Wie können Sie als Ausbilderin bzw. Ausbilder also frühzeitig gegensteuern?
Einige Tipps zur Gestaltung des Übergangs von der Ausbildung in den Beruf
- Mitarbeiterbindung beginnt bereits in der Ausbildung.
- Thematisieren Sie in Gesprächen mit Ihren Auszubildenden regelmäßig die Zeit nach der Ausbildung. Je näher das Ende rückt, desto konkreter können bzw. sollten Sie Ihre Vorstellungen und Ideen diesbezüglich mitteilen.
- Stellen Sie bereits vor dem letzten Ausbildungsjahr die ersten Weichen für eine Übernahme, indem sie rechtzeitig mit der Personalabteilung, mit der in Frage kommenden Abteilung und mit dem Betriebsrat die Übernahme vorbereiten.
- Setzen Sie gegebenenfalls die Auszubildende oder den Auszubildenden nochmals in der infrage kommenden Abteilung ein, damit sich beide Seiten nochmals unter dem neuen Blickwinkel kennenlernen und sich persönliche Kontakte vertiefen können.
- Wenn Sie mit den verbindlichen Vertragsgesprächen ein halbes Jahr vor Ausbildungsabschluss beginnen, überlegen Sie sich bis spätestens dahin, lieber jedoch deutlich früher, welche beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten Sie der Kandidatin bzw. dem Kandidaten konkret bieten können – zum Beispiel in Form eines weiteren innerbetrieblichen Entwicklungsschrittes oder durch eine anschließende Weiterbildung zur Fachwirtin/zum Fachwirt bzw. zur Meisterin/zum Meister.
Wertvoll sind selbstverständlich auch alle anderen Trainings zur Persönlichkeitsentwicklung oder fachlichen Spezialisierung – zeigen Sie attraktive Perspektiven auf, die Ihr Unternehmen engagierten und leistungsbereiten jungen Fachkräften für ihren nächsten Lebensabschnitt „Karrierestart“ bietet. Das Gesamtpaket aus Freude an der Arbeit, einem passenden Team, der Passung zu den eigenen Neigungen/Stärken sowie der Sicherheit des Arbeitsplatzes und den Entwicklungsperspektiven macht den Erfolg.
Haben Sie es gemerkt? In diesem Artikel war bis jetzt nirgends die Rede vom Gehalt. Natürlich spielt eine angemessene Bezahlung ebenfalls eine wichtige Rolle für die Attraktivität des Pakets, das Ihr Unternehmen seinen zukünftigen Fachkräften bietet. Allerdings trifft das auf jede Einstellung einer neuen Mitarbeiterin bzw. eines neuen Mitarbeiters zu. Deshalb lässt sich dieser Aspekt auch sehr kurz und knapp zum Abschluss abhandeln: Selbstverständlich muss die Gehaltshöhe den regionalen und branchenüblichen Gegebenheiten in etwa entsprechen. Letztlich ist es aber in den seltensten Fällen allein das Entgelt, das für Bewerberinnen und Bewerber – und so auch für Ihre Auszubildenden – den Ausschlag gibt. Ein hohes Gehalt kann anhaltenden Frust nicht auf Dauer kompensieren und eine hohe Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit, mit den Kolleginnen und Kollegen sowie den Entwicklungsmöglichkeiten zählt bei der Entscheidung für oder gegen einen Arbeitgeber erheblich mehr als ein andernorts vielleicht noch erreichbares Quäntchen mehr auf dem Gehaltskonto.